Mattscheibe, schwarz

Die Völker der Welt schauen auf diese Stadt: In Berlin beginnt Anfang November die Abschaltung des analogen TV-Signals für Antennenempfang. Anders als in den USA zählt Zuschauers Meinung kaum

aus Berlin JÜRGEN BISCHOFF

Wer in diesen Tagen in Berlin zu später Stunde einen Spielfilm auf Pro Sieben aufnehmen will und noch immer per Hausantenne empfängt, erlebt sein blaues Wunder: Irgendwann bricht die Aufzeichnung ab.

Denn der Sender wird gegen ein Uhr früh vorübergehend abgeschaltet. „Es handelt sich um technische Vorarbeiten für die Umstellung auf den Digitalempfang. Da müssen Techniker auf die Sendetürme und die sollen nicht von den Funkwellen gegrillt werden“, sagt Sascha Bakarinow von der Medienanstalt Berlin-Brandenburg (MABB).

Denn am 1. November ist es so weit. Dann werden Pro Sieben und RTL 2 kurzzeitig auf eine schwächere analoge Sendefrequenz verschoben, bevor sie zum 1. März 2003 zusammen mit den anderen Privatsendern RTL, Vox und Sat.1 ganz von der herkömmlichen Mattscheibe fliegen. Auf den alten Frequenzen werden danach die gleichen Programme ausgestrahlt – digital. Spätestens zur kommenden Funkausstellung sollen schließlich auch die öffentlich-rechtlichen Sender ihre analoge Verbreitung in der Hauptstadtregion einstellen und zum modernen Digitalfernsehen werden.

Um weiterhin mit der Hausantenne ans Programm angeschlossen zu sein, braucht man eine spezielle Set-Top-Box für das terrestrische digitale Fernsehen (DVB-T). So ausgerüstet, lassen sich dann in Berlin und Umgebung nicht mehr nur 12 Fernsehprogramme empfangen, sondern doppelt so viele – plus einer Reihe von Datendiensten und digitalem Radio.

Die Elektroindustrie hat dem MABB-Direktor Hans Hege versprochen, bis zur ersten Abschaltung von Analogsendern für den neuen Digitalempfang nötige Geräte für unter 200 Euro auf den Markt zu bringen. Doch Mitte Oktober ist davon wenig zu sehen in den Läden.

Die MABB schätzt, dass bis zu 200.000 Haushalte in Berlin und Umgebung von der Abschaltung betroffen sein werden – ohne Zweit- und Drittgeräte. Für die Betroffenen bedeutet die Abschaltung, dass jeder Fernseher, jeder Videorecorder und jedes tragbare Kleingerät im Kinderzimmer demnächst eine zusätzliche Set-Top-Box benötigt.

Wer angesichts des nötigen Großeinkaufs zum Satellitenempfang wechseln will, dem stehen mit Installationskosten für Schüssel, Verteiler und Kabel leicht ein vierstelliger Eurobetrag ins Haus.

Nicht nur technisch, auch juristisch betreten die MABB und die Fernsehanstalten totales Neuland. Lediglich Sozialhilfeempfänger und aus anderen Gründen von den Rundfunkgebühren Befreite bekommen eine kostenlose Box, zum Teil gesponsert aus Mitteln der Fernsehlotterie. Unter den anderen Zuschauern dürfte es sicher den ein oder anderen geben, der sich enteignet fühlt und sein Recht auf analoge TV-Versorgung einklagen will – zumindest so lange, bis sein alter Fernsehapparat seinen Geist aufgegeben hat und er ohnehin ein neues Gerät kauft.

Eine Parallelausstrahlung von analogen und digitalen Signalen aber wollen die deutschen Fernsehanstalten unbedingt vermeiden: Erstens kämen sie auf Jahre hinaus nicht zu den Kosteneinsparungen, die die digitale Technik mit sich bringt. Und zweitens blockiert eine weitere analoge Ausstrahlung die Fernsehkanäle, auf der die digitale Vielfalt in die Häuser kommen soll.

Dabei hat Berlin eine globalete Pilotfunktion: Nirgendwo anders auf der Welt ist das analoge Fernsehen bisher abgeschaltet worden. Je näher der Tag der erzwungenen Funkstille rückt, umso mehr werden sich die Zuschauer der Konsequenzen bewusst. Dennoch wird in Deutschland der Verbraucheraspekt im Vergleich zu anderen Ländern klar vernachlässigt.

In den USA hat dagegen gerade erst ein Kongressausschuss über die dort für 2007 geplante analoge Abschaltung debattiert. Der Demokrat Eliot Engel befürchtet vehemente Zuschauerproteste, und dass damit die Karriere so manches Politikers besiegelt werde.

Auch das Marktforschungsunternehmen Forrester Research rechnet in einer jüngsten Studie in Europa mit massiven Protesten in Europa, wenn der analoge Bildschirm sich verdunkelt. Kabelnetzbetreiber wie „ewt“ oder die Berliner Wohnungsbaugesellschaften schüren aus Eigeninteresse das Feuer: Sie wollen verunsicherten Antennenzuschauern ein Kabelabonnement aufschwatzen.

Für Hans Hege allerdings ist das kein Beinbruch. Auch wenn das terrestrische digitale Fernsehen scheitern sollte, weil es viel zu wenig Haushalte nutzen – digitalisiert wird früher oder später auch bei Kabel und Satellit. Dann bleiben aber wieder die auf ihrem Elektronikschrott sitzen, die sich jetzt für die terristrische Ausstrahlung einen Decoder besorgen.