jenni zylka über Sex & Lügen
: Malerisch in der Nähe des Ausgangs

Über einen Feldversuch zum Thema „spontane Menschen kennen lernen in fremden Städten“ und seine Folgen

Wild sein, jung sein, in den Tag hineinleben, sich mitten in der Stadt überall auf den Boden setzen, durch die richtigen Zigaretten animiert totaaaaal verrückt einfach seine Schuhe in die Schlange vor dem Bäckereigeschäft stellen und selbst barfuß in der Ecke am Brunnen eine Zichte zichten, o ja, schön ist es, wenn man so richtig macht, was man will, und allen gleich beim ersten Augenkontakt durchpustet, was für ein schräger Vogel man doch ist.

Genau solche Vögel wollten meine Freundin und ich auch sein, sie noch eher als ich, als wir vor einiger Zeit geschäftsbedingt einen Abend in einer fremden Großstadt verbringen mussten. Wir waren ja so was von crazy, wir hatten sogar einfach kein Hotel gebucht: „Spontaneität, verdammt“, schrie meine Freundin, als wir mit dem schrillen, bunten „Opel Steffi Genesis Individuality“-Kleinwagen losbrausten, „das wäre ja gelacht, wenn wir es nicht schaffen würden, uns heute Abend was Aufregendes zum Übernachten aufzureißen, oder?“ „Klaro“, stimmte ich, allerdings etwas weniger laut, zu, kein Problem, der Himmel hängt voller Geigen und jede städtische Theke voller potenzieller Gastgeber mit Fummeloption.

Zuerst brachten wir unsere Geschäftstermine hinter uns, dann wurde es früher Abend, und wir überlegten, wo man strategisch am günstigsten Menschen zum spontanen Obdachgeben kennen lernen kann. „Wir könnten’s im Baumarkt versuchen“, schlug meine findige Freundin vor, „da sind extrem viele Männer, die erstens ein hohes Energiepotenzial aufweisen und zweitens normalerweise zumindest einen Hammer halten können. Um schon mal ein bisschen schlüpfrig zu werden, harhar.“ Harhar, dachte ich, ob man aber unbedingt den Heimwerkertypus möchte?

Bei Obi schoben überhaupt nur zwei Männer einsam ihren extragroßen Einkaufswagen durch die Gänge, der eine schien ein Terrariumsfreund zu sein (Glasplatte, Wasserpumpe, Plastikbäumchen) und schied darum sofort aus: keine Lust auf Pielepocken- und Goldbarschgespräche. Der zweite sah nach missmutigem Autofrickler aus (Kabelbaum, Ersatzbenzinkanister, Dreivoltbirnen). „Nee, lieber nicht“, warnte ich meine Freundin, „wer freitagabends sein Auto repariert, der airbrusht auch nackte Frauen mit Löwenmähnen auf den Opel Steffi Individuality Rolling Stones Europe.“

Klassischerweise müsste man doch in einem gediegenen Restaurant zu Potte kommen, „pass mal auf“, sagte meine Freundin, „wir gehen jetzt in diese Löwenbräustube, da sitzen reihenweise Geschäftsmanntischchen, einer schleimiger als der andere, und innerhalb einer halben Stunde kriegen wir Getränke und Visitenkärtchen auf den Tisch geknallt, dass es nur so eine Art ist.“ „Wenn du meinst“, sagte ich. Vor rustikalen, unbewachten Weinregalen saßen allerdings nur virtuell ineinander versunkene Pärchen und Familien mit 120-dB-Kleinkind im Gepäck. Und nicht mal der Kellner guckte auch nur den Bruchteil einer Sekunde zu lang zurück. „Es ist schon zehn Uhr“, erinnerte ich meine Freundin nach dem Essen, „wenn wir jetzt nicht bald irgendeinen Dummen, ich meine natürlich Netten finden, dann wird es brenzlig, schließlich muss man doch auch noch mindestens zwei bis drei Stunden flirten und sich anpreisen, bevor einem mal jemand seine Wohnung zeigen will.“ Meine Freundin nickte alarmiert. Wir schnappten uns sofort das nächste Was-ist-hier-eigentlich-los-Blättchen und fuhren ins Discoviertel. In den ersten Club kamen wir nicht rein, weil wir keine am Rücken zusammenbindbaren Lätzchen trugen, so wie die anderen Clubmitglieder. Im zweiten besorgten wir uns zwei Wodkas und stellten uns malerisch in die Nähe des Ausgangs, damit das alles dann auch möglichst schnell gehen würde. Nach einer halben Stunde hockte sich ein jugendlicher Wollpullunder in unsere Ecke, und ich stupste triumphierend meine Freundin an. Der Wollpullunder schubberte sich langsam näher, schließlich beugte er sich zu mir rüber und fragte nach Zigaretten. „Asthmatikerin“, sagte ich und guckte sexy. Ob ich ihm vielleicht kurz Geld leihen könnte, fragte der Wollpullunder unbeeindruckt, dann würde er Zigaretten kaufen. Baff schüttelte ich den Kopf. Meine Freundin schaute schnell weg, um nicht loszukichern, und ich überredete sie, den Ort zu wechseln. In einem dunklen Bums in der Nähe des Bahnhofs konnten meine Freundin und ich nach drei Uhr das einzige ernst zu nehmende Angebot protokollieren: ein nach fünf Jahre Absinthrausch riechender Erwachsener fragte uns, ob wir nicht Lust hätten, mit ihm eine kleine Sause zu machen, wir sähen so verzweifelt aus. Aber wir wollten irgendwie nicht.

So ein Opel Bap Fiat 500 Reisebus Spontaneity ist doch eine feine Sache, wenn die preiswerten Hotels voll, die Glieder müde sind und die Köpfe Weinbrandbohnen ähneln. Meine Freundin hat eine weiche Schulter zum Anlehnen, und überhaupt werden gemütliche unterirdische Parkhäuser glücklicherweise nachts nicht geheizt, sonst bekäme man ja nur Kopfschmerzen, wenn man dort zusammengerollt auf einem halben Quadratzentimeter übernachtet. So kann man am nächsten Tag frisch und ausgeruht aufspringen und wieder um eine wichtige Erfahrung reicher sein. Und das alles ganz spontan.

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