Das Ziel ist auf einmal der Weg

Das Sparpaket steht. Wie rot oder wie grün es ist, wollte Grünen-Chef Joschka Fischer nicht diskutieren. Hauptsache, das Land hat eine Zukunft

aus Berlin ULRIKE HERRMANN
und PATRIK SCHWARZ

Seit gestern 15 Uhr 45 sind die Koalitionsverhandlungen vorbei. Klar, ein paar Ministerposten müssen heute noch verteilt werden, und ein paar Staatssekretäre gefeuert. Ihre schwierigsten Stunden hat die Koalition jedoch jetzt hinter sich. Nach zwei Tagen, in denen viele der Verhandlungsführer so verkniffen wirkten, als stünden sie mit dringenden Bedürfnissen vor einer verschlossenen Klotür, machte sich am Montagnachmittag plötzlich „Erleichterung“ breit, wie ein Teilnehmer sagt.

Gerade noch 45 Minuten brauchte die große Koalitionsrunde, dann stand das Sparpaket. Gehakt hatte es zum Schluss nur noch bei einem Kompromiss zum AKW Obrigheim (siehe unten). Wie rot oder wie grün das Verhandlungsergebnis ausgefallen ist, gilt dem grünen Spitzenkandidaten zu diesem Zeitpunkt bereits als unanständige Frage. „Es geht nicht darum, ob die Grünen sich an wichtigen Punkt durchgesetzt haben“, sagt er. Joschka Fischer kennt nur noch Deutsche. „Es ist nicht meine Betrachtungsweise, ob grüne Delegierte damit sehr gut leben können, sondern ob unser Land damit eine Zukunft hat“, verkündet der Vizekanzler brüsk, ehe er das Willy-Brandt-Haus verlässt.

Doch so klar ist diese deutsche Zukunft nicht. Denn um sich zu einigen, verwandten die Koalitionspartner eine Strategie, die aus dem modernen Management bekannt ist: „Leading by objektives“. Die Ziele sind zwar überdeutlich, aber nicht unbedingt die Mittel.

Beispiel Haushalt: Ab dem Jahre 2006 soll es keine Neuverschuldung mehr geben – aber wie dieses ehrgeizige Vorhaben umzusetzen ist, blieb vage. Eben „flexibel“, wie es Grünen-Chef Fritz Kuhn nannte. Fest steht eigentlich nur: Nächstes Jahr wird es bei der ursprünglich geplanten Neuverschuldung von 15,5 Milliarden Euro nicht bleiben, sondern Rot-Grün hat sich Kredite von weiteren 2,6 Milliarden gegönnt.

Allerdings klafft dann immer noch eine Deckungslücke von mehr als 11 Milliarden Euro. Die vereinbarten Subventionskürzungen bringen jedoch nur 4,2 Milliarden. So sollen die Veräußerungsgewinne von Wertpapieren versteuert werden; die Mehrwertsteuer für landwirtschaftliche Produkte wird auf den normalen Satz von 16 Prozent steigen; und Kapitalgesellschaften müssen künftig eine „Mindeststeuer“ zahlen – sie dürfen ihre Körperschaftssteuer also nur noch maximal halbieren durch Verlustvorträge. Bei Gebäuden gelten längere Abschreibungsfristen, die Eigenheimzulage wird gekappt und Gaswärme wird künftig besteuert wie leichtes Heizöl.

Das klingt schon so richtig nach Kleckerbeträgen – und so ist es auch. Es bleibt zu konstatieren, dass immer noch mehr als 7 Milliarden Euro fehlen, um den Haushalt 2003 zu bestreiten. Und nun wurde es gestern auf der Pressekonferenz konfus. SPD-Fraktionschef Franz Müntefering wusste nur zu berichten, dass „Hartz“ eine „Einsparung von 1,5 Milliarden Euro“ erbringen solle. Dies ist insofern eine erstaunliche Mitteilung, als die Grünen noch bis gestern mit der Erkenntnis punkten wollten, dass die Arbeitsmarktreformen zunächst Geld kosten dürften. So war eine Anschubfinanzierung von vier Milliarden Euro im Gespräch, um die staatlichen Personal-Service-Agenturen zu starten.

Kuhn hatte konkretere Zahlen als sein Kollege Müntefering; er bezifferte die Einsparungen „bei Rente und Arbeitslosenhilfe“ auf genau jene 7,4 Milliarden Euro, die in der Rechnung noch fehlen. Die Bundeszuschüsse an die Sozialkassen sollen also gesenkt werden; allein bei der Rente beträgt er jährlich 100 Milliarden Euro.

Und eine erste konkrete Sparmaßnahme deutete sich gestern an: Anscheinend wollen Grüne und SPD von Wahlversprechen abrücken. Ursprünglich sollten Arbeitslosen- und Sozialhilfe zwar zusammengelegt, aber nicht gekürzt werden. Doch nun kommt es wohl so, dass beim künftigen „Arbeitslosengeld II“ das Einkommen des Ehepartners in jedem Fall angerechnet wird.

Gestern ging diese Botschaft allerdings noch ein wenig unter im Wust der Einzelzahlen. Gibt es doch auch Positives zu melden: Die Krippenplätze für unter Dreijährige werden vermehrt, und vier Milliarden Euro Anschubfinanzierung für die Ganztagsschulen gibt es auch. „Definitiv“, wie Müntefering sagte. Da verzichteten die Grünen doch gern aufs Ehegattensplitting, denn das Ziel ist neuerdings der Weg.