Rechte vor Gericht lammfromm

Seit gestern müssen sich vier Berliner Rechte wegen eines dreieinhalb Jahre zurückliegenden Angriffs auf junge Punks vor Gericht verantworten. Die Neonazis stilisieren sich selbst als Opfer. Urteil in der nächsten Woche

In der Berliner Neonaziszene geben sie den Ton an. Die neun so genannten Freien Kameradschaften, die nach Bezirken organisiert rechten Nachwuchs rekrutieren. Wenn sich die Gelegenheit bietet, schlagen die „Kameraden“ auch schon mal zu. So wie am 10. Juli 1999. Damals hatte eine sechzehnköpfige Gruppe, die dem Umfeld der mittlerweile aufgelösten Kameradschaft Germania zugerechnet wurde, einen Ausflug unternommen. Nach Hamburg, zu einem von der NPD angemeldeten Aufmarsch gegen die Wehrmachtsausstellung.

Auf der Rückfahrt stießen die zwei vollbesetzten Kleinbusse der Neonazis an der Raststätte Stolpe auf eine achtköpfige Gruppe von deutschen und polnischen Punks. Die Aufarbeitung des Angriffs beschäftigt die Justiz in drei Bundesländern mittlerweile seit dreieinhalb Jahren. Bislang wurde lediglich ein Angreifer vom Amtsgericht Luckenwalde zu einer mehrmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt.

Vor dem Moabiter Jugendschöffengericht begann nun gestern der Prozess gegen vier weitere Angreifer. Die heute 22- und 23-jährige Rechten gaben sich vor Gericht in modischen Jeansjacken und karierten Hemden lammfromm. Vorgeworfen wird ihnen schwerer Landfriedensbruch, gefährliche Körperverletzung und Sachbeschädigung.

„Der Angriff kam blitzschnell“, schilderte ein Beamter der brandenburgischen Polizeisondereinheit MEGA das Geschehen. „Die Punks spielten friedlich auf der Wiese, als die Rechten vermummt aus ihren Bussen stürmten und mit Steinen warfen.“ „Alles ging so schnell, dass an Eingreifen nicht zu denken war“, so der Beamte, der mit einem Kollegen die Rechten auf der Hin- und Rückreise nach Hamburg observiert hatte und dem Angriff tatenlos zusah. Die Opfer hätten sich nicht wehren können. Die Rechten seien nach dem ersten Angriff wieder in ihre Busse gestiegen, hätten dann erneut angehalten und am Bus der Punks sämtliche Scheiben eingeschmissen.

Der 30-jährige Student Jan S., der durch einen Steinwurf am Auge verletzt wurde, erinnerte sich, dass seine Freunde verängstigt in den Kleinbus flüchteten, während er mit einer Zeltstange in der Hand versuchte, im Stein- und Flaschenhagel zur Fahrertür des Autos zu gelangen. Er habe die Situation als extrem bedrohlich empfunden. Trotz der belastenden Zeugenaussagen beharrten die Angeklagten darauf, dass alles ganz anders gewesen sei. Sie seien von den zahlenmäßig unterlegenen Punks angegriffen worden, so ihre einhelligen Aussagen. Zu den bei ihnen beschlagnahmten Hakenkreuzfahnen und -armbinden, martialischen Fotos vor „Rotfront Verrecke“-Transparenten und rechtsextremen Propagandamaterial wollten sie sich nicht äußern.

Für Nebenklageanwalt Stefan Schrage ist vor allem die lange Verzögerung zwischen dem Angriff und dem Prozess unverständlich. „So werden Neonazis regelrecht ermuntert, weiterzumachen“, so Schrage. Wie etwa der 22-jährige Angeklagte Marco O., der mittlerweile wegen einschlägiger Körperverletzungsdelikte verurteilt ist und aus der Haft ins Gericht gebracht wurde. Schrage hofft, dass das für nächsten Dienstag erwartete Urteil auch dazu führt, dass auch gegen acht erwachsene Neonazis im Zusammenhang mit dem Angriff ein Prozesstermin anberaumt wird. HEIKE KLEFFNER