Krippen zu, Operette weg, Licht aus

Wenn die Pleite eine Kommune erwischt: Dresden schließt viele Kitas und ein Theater, spart bei Schulbüchern, Straßenbau und der Beleuchtung. Angesichts der desolaten Finanzlage will die Stadt nun eine Musterklage gegen den Bund anstrengen

aus Dresden MICHAEL BARTSCH

Die Stadt Dresden will sich dem Deutschen Städte- und Gemeindetag als Musterkläger gegen den Bund anbieten. Das kündigte Oberbürgermeister Ingolf Roßberg (FDP) bei der Vorstellung einer Liste von massiven Einschnitten kommunaler Leistungen an, mit denen die hoch verschuldete Hauptstadt Sachsens eine Haushaltspleite abwenden will. Hintergrund des Finanzdesasters ist nicht zuetzt das am 1. Januar 2003 in Kraft tretende Grundsicherungsgesetz (siehe unten). Mit den damit verbundenen Mehrausgaben, so schätzt Roßberg, werde der Haushalt der Stadt in jedem Jahr um acht Millionen Euro zusätzlich belastet.

Die nun angestrebte Verfassungsklage, aber auch die Sparmaßnahmen will Roßberg als „Hilfeschrei“ in Richtung Land und Bund verstanden wissen. Tarifsteigerungen im öffentlichen Dienst, neue Bundesgesetze und ein wachsender finanzieller Umfang der Pflichtaufgaben bei stagnierenden Einnahmen brächten die Stadt in eine ausweglose Situation. „Es gibt keine stillen Reserven mehr“, so Roßberg. Der amtierende Finanzbürgermeister Detlef Sittel (CDU) sieht das Konnexitätsprinzip verletzt, also die Pflicht zum finanziellen Ausgleich für den Kommunen übertragene Aufgaben.

Die Dresdner müssen sich auf drastische Sparmaßnahmen vor allem in sozialen Bereichen einstellen, die in der Bevölkerung einen regelrechten Schock ausgelöst haben – und die jüngsten Pläne der Bundesregierung geradezu konterkarieren. So will die Stadt künftig keine eigenen Krippenplätze mehr anbieten – damit verbleiben Dresden lediglich 1.200 Plätze bei freien Trägern. Auch die Hortplätze werden um ein Drittel reduziert. Die Ausstattung der Schulen, die Lehr- und Unterrichtsmittel und die Zuschüsse zur Schülerbeförderung werden heruntergefahren. Ein städtisches Schullandheim auf der Insel Norderney wird geschlossen. Sozial Schwache büßen Vergünstigungen wie den „Dresden-Pass“ ein. Der Schwerbehindertenfahrdienst erhält keine Zuschüsse mehr. Alle speziellen Beratungangebote für Frauen, Ausländer und Arbeitslose werden eingestellt. Zwei städtische Bäder sollen geschlossen werden. Sportvereine müssen mit Pachterhöhungen rechnen.

Doch auch die Kultur hat es voll erwischt: Die Staatsoperette, das einzige originäre deutsche Operettentheater, soll geschlossen werden. Nur so, sagte Kulturdezernent Lutz Vogel, könne im Zeitalter „struktureller Unterfinanzierung“ das Restangebot in seiner Breite erhalten werden. Ebenfalls betroffen sind der kommunale Straßenbau und die Wartung der Stadtbeleuchtung. Da bereits der laufende Haushalt 2002 nur mit strengen Auflagen seitens des Regierungspräsidiums genehmigungsfähig war, muss Dresden in nächster Zeit 1.400 Stellen abbauen. PDS und Bündnisgrüne erklärten zu den anstehenden Einschnitten gestern aber auch, die den Stadtrat dominierende CDU hätte in der Vergangenheit immer abenteuerlichere Investitionsprojekte auf Pump finanziert. Laufende Aufgaben im angespannten Verwaltungshaushalt seien gleichzeitig auf der Strecke geblieben.

Auch die kommunalen Spitzenverbände haben den Bund anlässlich der Koalitionsverhandlungen vor neuen Lastenverschiebungen auf die Kommunen gewarnt und eine Gemeindefinanzreform gefordert. Neue Lasten sehen sie vor allem durch die im Zuwanderungsgesetz festgeschriebenen Integrationskurse sowie durch schulische Ganztagsbetreuung auf sich zukommen. Das Defizit in den kommunalen Verwaltungshaushalten könnte in diesem Jahr um die Hälfte auf 7,5 Millarden Euro steigen, befürchtet der Hauptgeschäftsführer des Städtetags, Stephan Articus.