Gebauschter Tüll, verschissene Windeln

Was macht eine Stripperin im Vorruhestand? Sie hat erstaunliche Tricks auf Lager, wie Gunvor Nelson in ihrem Film-Porträt „Take Off“ zeigt. Das Arsenal zeigt eine Nelson-Filmreihe aus den Pioniertagen des Feminismus

Schmodder in der Spüle, Schmutz im Klo und die Wahl zur Miss Amerika

„Experimentalfilm klingt wie etwas Unvollständiges. Ich habe sowohl surrealistische als auch expressionistische Filme gemacht, aber am liebsten mag ich den Ausdruck ‚persönliche Filme‘. Darum geht es“, sagt Gunvor Nelson.

Im Jahr 1931 in Schweden geboren, ging sie schon Mitte der Fünfzigerjahre an die amerikanische Westküste und studierte Malerei. In der aufgeregten Künstlercommunity dort lebte sie als Gattin von Robert Nelson, dessen Film „Oh Dem Watermelons“ (1965) als Verhöhnung fortdauernder rassistischer Stereotypen berühmt wurde. „Es herrschte die Atmosphäre, alles auszuprobieren. Alle Traditionen sollten verändert werden, alle Regeln gebrochen. Jeder Moment war wertvoll, man durfte ihn nicht verderben. Ich fühlte mich in diesem Umfeld vom Glück begünstigt, aber auch ein bisschen ängstlich, weil ich wusste, dass ich mehr Kontrolle haben wollte.“

Mit ihrer Freundin Dorothy Wileyhatte sie schon lange über das Filmemachen geredet. Beide waren mit Künstlern verheiratet, beide hatten kleine Kinder und wollten mehr sein als Gattin und Mutter. „Wir empfanden einen unglaublichen Kontrast zwischen dem, wie wir uns damals fühlten, und all den Schönheitsidealen, die im Kino und Fernsehen zu sehen waren.“ So kam „Schmerguntz“ (1966) auf die Welt: Die beiden filmten das Fernsehprogramm ab – Miss-Wahlen, Busensilhouettenvorgaben und sonstige Schönheitszwangsmasken – und füllten das Ganze mit kleinen Partikeln des abjekten Alltags zweier junger Mütter auf: Schmodder in der Spüle, Schwangerschaftserbrechen, Menstruationsblut, Babykacke, Schmutzreste im Klo und der Treibriemen der Waschmaschine. Dies geschah, lange bevor die beiden Betty Friedans Buch „Weiblichkeitswahn“ lasen und bevor im Jahr 1968 Feministinnen gegen die Miss-Amerika-Wahlen protestierten.

Auch die Kunstmänner waren beeindruckt von dem Film: „Ich erinnere mich, wie einer vorbeikam, der uns vorher nie als menschliche Wesen angesprochen hatte, und es war, als würde er uns zum ersten Mal wahrnehmen“, sagt Gunvor Nelson. Ebenfalls in der häuslichen Sphäre schuf sie den Film „My Name Is Oona“ (1969).

Oona, die neunjährige Tochter von Gunvor Nelson, ist ein versponnenes und stolzes Mädchen auf dem Höhepunkt seiner fantastischen Reitabenteuer. Ein Mädchenporträt mit elliptischem Schnitt, Zeitlupe und fließenden Doppelbelichtungen, das zwischen Elfenmythologie und Ponyhof schillert. Was auf den ersten Blick wie „Prinzessinnenspiel“ wirkt, ist eher voller Görenernst. Ein mechanisch- störrischer mehrstimmiger Loop „My name is Oona“, in Zusammenarbeit mit Steve Reich entstanden, rauht den Film auf.

Es gibt einen Film von Gunvor Nelson, ohne den inzwischen kein nordamerikanischer Filmstudenten-Kurs auskommt: „Take Off“ (1972). Eine blonde Frau trägt ein aufwändiges Ensemble aus Glitzer-BH und Tüllhose, orientalistisch geschmückt mit Perlen und Ketten. Es ist die Stripteasetänzerin Ellion Ness, die ihr Kostüm selbst entworfen hat. Sie bewegt sich im Rhythmus einer eher rockigen Gitarre, einem „rowdy music track“ von Pat Gleeson, der in Herbie Hancocks Band Synthesizer spielte. Die Stripperin agiert zur Kamera gewandt, überhaupt erinnert die komplizinnenhafte und so ganz und gar nicht unterwürfige Ausstellung der üppigen körperlichen Attraktionen an das frühe Kino. Wie Loïe Fuller, die Grande Dame des Schleiertanzes, bewegt sie bauschende Tüllmengen.

Mit kecken und expliziten Hüftbewegungen entledigt sie sich langsam ihrer Kleidung, ein kleiner glänzender Vorhang aus Fransen wippt auf ihrem Popo. Sie ist eine Meisterin der hohen Kunst der Leibbewegungen und zeigt auch ihren Bauch, den ja jede schöne Frau hat. Ihre Netzstrümpfe streift sie herunter, schnippt sie wie ein Gummiband davon. Dann lässt sie uns unter ihren BH gucken, am Busen hängen wunderbare Quasten, die sie mit gekonnten Bewegungen durch die Luft kreisen lässt. Sie wird immer nackter … Die Kamera geht nah heran, scheut sich nicht, dieser Stripperin im Vorruhestand auf die Haut zu rücken, das Licht wird härter, der Schnitt schneller, Schwarzfilm und Blankfilmteile lassen die Bilder flackern. Der Moment, wenn alle Hüllen gefallen sind und die Phantasmen der aufgeladenen Erwartung der kruden Sichtbarkeit weichen müssen, wird zum Ausgangspunkt für eine Dekonstruktion des muffigen Striptease-Topos von der sexuellen Verfügbarkeit und eine Parodie auf die „What you see is what you get“-Welt. Des Weiteren „ausgezogen“ werden: die Haare, die sie vor ihr Gesicht und vor ihre Scham schiebt. Dann fasst sie ihre Schenkel, dreht daran und wirft ein Bein nach dem anderen davon, auch Ohren, Brüste, Arme und Nase und schließlich der Kopf müssen dran glauben.

So trudelt der übrig gebliebene Torso durch den Kosmos wie ein willenloser Meteorit. Die Filmemacherin selbst sagt, dass dieser Trickfilm für sie viel weiter entfernt sei als all ihre anderen Filme. MADELEINE BERNSTORFF

Die Gunvor-Nelson-Filmreihe läuft vom 18. 10. bis 20. 10. im Arsenal, Potsdamerstr. 2, Tiergarten, genaue Termine siehe cinema-taz