Das Geld hat Gott ersetzt

Und mit Marx’ Hilfe soll es Marktfrieden werden: Norbert Bolz hat „Das konsumistische Manifest“ geschrieben

Die Sache mit dem Konsum ist doch nicht so einfach, wie es Norbert Bolz, der Verfasser des schmalen Bands mit dem trotzigen Titel „Das konsumistische Manifest“, behauptet. Das belegt er selbst. Vielleicht war es nicht besonders klug von Bolz, in seinem Schlusskapitel auch noch „Die Liebe“ im Kräftefeld des Konsumismus verorten zu wollen. Trotz des hochgemuten Beginns mit Platons Symposion geht es am Ende doch nur um das heute ach so beklagenswerte Verhältnis von Frauen und Männern. Es rührt vom Verlust der bekannten Asymmetrie des Geschlechterverhältnisses her, und den hat der Feminismus verschuldet, der die Gefühle dekonstruiert: „Man sieht ein Exemplar des anderen Geschlechts und weiß nicht mehr, wie mann sich fühlen soll.“

Es ist also wieder einmal ein Ladenhüter, den Bolz unter die Leute bringen will. Gewiss eine Todsünde im System des Konsumismus, wo es um das Neue geht. Für das Neue sind nun aber jene Exemplare unserer Spezies Expertinnen, die nicht so viel Angst wie Norbert Bolz haben, das F-Wort zu benutzen, gemeinhin Frauen genannt. Produktion sei die Sache der Erwählten, „der Konsum aber“, sagt Bolz im unvergleichlich erfreulicheren Kapitel gleichen Titels, „die der Verdammten“. Beim Shopping also kennen sich die Frauen aus. Und mit ihrer sophistication kaufen sie ihm das Kapitel über die Liebe definitiv nicht ab. Eher schon das über „Das Geld“. Wer könnte mehr über die befreiende Wirkung des Geldes wissen als die Frauen? Doch bei Bolz werden durch das Geld alle Menschen Brüder. Dabei ist dem Geld nichts gleichgültiger als das Geschlecht, schließlich macht es zwischen Frauen und Männern keinen Unterschied – ganz im Gegensatz zu Gott, den es in der modernen Welt ersetzt hat.

Um diese moderne Welt geht es Bolz in seinen Überlegungen, die, wenig originell, den 11. September zum Anlass haben, und damit die Frage, wie die moderne, gar postmoderne Welt mit der Herausforderung des islamischen Fundamentalismus fertig wird. Wie kann sie effektiv und zivilisiert den besonders rechtgläubigen Anhängern einer Religion begegnen, die beansprucht, einen privilegierten Zugang zur Wahrheit zu haben? In ihrer Kultur wurde Gott noch nicht durch das Geld ersetzt. Das, meint Bolz, sei ein schwerer Fehler. Der Triumph des Geldes ersetze nicht zynisch die Moral durch den Marktmechanismus. Vielmehr gehe es darum, „Moral nicht ethisch, sondern ökonomisch zu begründen – nämlich aus der Evolution der Kooperation“. Unterscheidungen nach dem Freund-Feind-Schema lassen sich weder auf die Konkurrenten auf dem Markt noch auf die Diskussionsgegner in der Arena der bürgerlichen Öffentlichkeit anwenden. „Der Kampf um Anerkennung wandelt sich unter den Bedingungen des Marktsystems zur Konkurrenz um einen Dritten, nämlich den Kunden.“ Weil in Bolz’ idealtypischem Funktionsmodell Kooperation bei der Werbung um diesen Dritten nützlicher ist als Krieg, ist Marktfrieden die Folge.

Doch kann eine moderne Gesellschaft, die nicht mehr zu bieten hat als formale Demokratie, Liberalismus und soziale Marktwirtschaft, die also einen spezifischen Werteverzicht leistet (und die nicht, wie die Jammerer immer meinen, einem Werteverlust unterliegt), Menschen, die mit sich weder reden noch handeln lassen, in diesen Marktfrieden einbinden? Bolz meint: ja. Dafür müssen wir selbst allerdings ein ganzes Stück Marx-gläubiger werden, als wir es sind. Auf dessen Feststellung zur eigentlichen Stärke der Bourgeoisie, dass nämlich „die wohlfeilen Preise ihrer Waren die schwere Artillerie sind, mit der sie alle chinesischen Mauern in den Grund schießt, mit der sie den hartnäckigen Fremdenhass der Barbaren zur Kapitulation zwingt“, gründet denn auch Bolz’ konsumistisches Manifest.

Wie so oft bei Norbert Bolz sind die Grundüberlegungen zum Geld beziehungsweise Markt als dem Prototyp einer selbstbezüglichen, universellen, kommunikativen Rationalität weder neu noch sonderlich originell; schick ist allerdings die Verpackung, in der sie Bolz offeriert. In der robusten Zusammenführung und Zuspitzung, der er die Theoretiker des Geldes, des Marktes und des Konsums unterwirft, um darauf seine eigenen Thesen zu entwickeln, entsteht die bekannte Aphoristik, die dann doch für einige verblüffende Gedankengänge und manche erhellende Ernüchterung sorgt. Fallweise wird man demnach durchaus fündig. Nicht zu langweilen, wusste einer der Kronzeugen, die Bolz immer wieder (also auch in diesem Band) ins Feld führt, nämlich Ernst Jünger, sei das erste Gebot jeder politischen Propaganda. Dieses Gebot hat Bolz weitgehend befolgt, und so ist er, alles in allem, auf der Höhe seiner Apologie. BRIGITTE WERNEBURG

Norbert Bolz: „Das konsumistische Manifest“. Wilhelm Fink Verlag, München 2002, 160 S., 10 €