Disziplin oder Hedonismus

Nur vordergründig ein HIV-Drama: Laura Muscardins „Giorni“ auf den Lesbisch Schwulen Filmtagen

Vordergründig erzählt Laura Muscardins Giorni – zu sehen auf den Lesbisch Schwulen Filmtagen – die Geschichte des HIV-positiven Claudio. Wegen der Infektion ist Claudio zu einem sorgfältigen Umgang mit sich selbst aufgerufen: regelmäßige Gesundheitschecks und die tägliche Einnahme von Medikamenten. Mit Disziplin hält Claudio den Ausbruch der HIV-Infektion im Schach.

Oberflächlich gesehen könnte er glücklich sein, Claudio hat nette Freunde, einen liebevollen Partner, unterstützende ärztliche Betreuung und ist zudem erfolgreich im Beruf. Doch die Begegnung mit dem hübschen Andrea stellt seine wohl geordnete Welt auf den Kopf. Vom Gefühl der Liebe erschüttert, fragt er sich plötzlich, wie das Leben auszukosten sei.

So tauscht Claudio die Sorgfalt in seinem Leben gegen die Intensität des Augenblicks. Andrea steht für die Lebensphilosophie, ohne Rücksicht auf Verluste im Jetzt zu leben – und er setzt dabei langfristig sein Leben aufs Spiel. Obwohl er weiß, dass Claudio HIV-infiziert ist, schläft er beharrlich ungeschützt mit ihm.

Andreas Abwehr von Zeitlichkeit und Sterblichkeit lässt jeden einzelnen Moment zur Besonderheit werden. „Ich fühle mich mit ihm unverletzbar“, sagt Claudio und bringt damit die eigenartige Anziehungskraft des Zusammenseins mit Andrea auf den Punkt. Die ganze Welt erzählt ihm von der Begrenztheit des Lebens, allein das Zusammensein der beiden erlaubt eine Unsterblichkeit des Jetzt.

Doch bald melden sich bei Claudio die erschöpften Abwehrkräfte zu Wort. Weil die Revolte des Körpers laut und beharrlich an die Pforten des Bewusstseins klopft, muss sich Claudio zwischen den gedankenlosen Augenblicken des Gefühls und einem vernunftbetonten Umgang mit sich selbst entscheiden. So wird HIV der Regisseurin zur Metapher, die viel allgemeiner nach einem angemessenen Umgang mit der Begrenztheit des Lebens fragen lässt. Doro Wiese

Sonnabend, 22.30 Uhr, Zeise