Kinder im Stress

Immer mehr Schulkinder leiden unter Anspannung und Überlastung. Volle Terminpläne sind schädlich, aber Eltern übertragen oft ihre eigene Rastlosigkeit auf den Nachwuchs

„Du musst mehr üben“, mahnt Lukas Lehrerin, als sie ihm das Diktatheft zurück gibt. Fünf Fehler in drei Sätzen. „Hast du deine Hausaufgaben schon gemacht?“, fragt die Mutter, als sich der Neunjährige nach dem Essen auf dem Teppich fläzt und Comics durchblättert. „Lukas, du musst noch Klavier üben“, ruft sie, als ihr Sohn nach dem Fußballtraining in sein Zimmer stapft. „Lass mich in Ruhe“, schreit Lukas, „ich hab Bauchweh!“

Lukas hat Stress. Viele Kinder kommen mit den Anforderungen, die an sie gestellt werden, gut zurecht. Aber: „Die Situationen, mit denen Kinder konfrontiert werden, haben sich in den letzten 15 Jahren stark verändert“, sagt der Marburger Entwicklungspsychologe Arnold Lohaus. Stressquellen sind der gestiegene Konkurrenz- und Leistungsdruck in der Schule, hohe Erwartungen der Eltern an ihre Kinder, Spannungen in der Familie, das breite Medienangebot und vielfältige Freizeitaktivitäten, die manchem Kind einen vollen Terminplan bescheren. Ein Viertel aller Grundschüler klagt über Schlafstörungen, Kopf- und Bauchschmerzen, hat keinen Appetit, ist ständig lustlos oder überaktiv, gereizt oder ängstlich.

Kindern bei der Stressbewältigung zu helfen, heißt nicht, jeden Stress von ihnen fern zu halten, sondern bei Anzeichen für eine Überbelastung einzuschreiten. Allerdings:„Kinder können nicht unterscheiden, ob sie Bauchweh haben, oder ob ihnen Ärger auf den Magen drückt“, sagt Lohaus. Eltern sollen deshalb stärker auf die Signale von Kindern achten. „Wenn die Kopfschmerzen immer vor der Schwimmstunde auftreten, liegt es nahe, dass ein Kind mit der Situation nicht klar kommt“, erklärt der Psychologe.

Und dann? Unterstützung sei einfach, sagt Lohaus: Ermutigen, zuhören und für genügend Ruhe sorgen. Vor allem aber sollen Eltern Kinder nicht nur loben, wenn die fehlerfrei arbeiten, sondern auch dafür, dass sie konzentriert an einer Aufgabe arbeiten. Eltern übertragen meist ihre eigene Rastlosigkeit auf den Nachwuchs und können den nur schwer untätig sehen.

Um Kindern den Rücken zu stärken, bietet jetzt schon eineKrankenkasse ihren Mitgliedern das von Lohaus entwickelte Stresspräventionsprogramm an. In den Kursen überlegen die Acht- bis Zehnjährigen, in welchen Situationen sie sich unwohl fühlen und üben in Rollenspielen alternative Verhaltensweisen. Die Nachfrage ist groß. Das Interesse der Eltern hat einen doppelten Grund: „Viele sind ganz begierig zu erfahren, was sie gegen ihren eigenen Stress tun können“, hat Präventionsberaterin Elvira Heuerz beobachtet.

Birgit-Sara Fabianek (epd)