Zwischenstopp

Die Transsibirische Teepause

von DINAH MÜNCHOW
und STEPHAN LISKOWSKY

Aus den Lautsprechern des Jekaterinburger Bahnhofs plärrt ein sowjetischer Triumphmarsch, als sich die Transsib ruckend in Bewegung setzt. Es ist früher Nachmittag, am Fenster schieben sich ein paar windschiefe Neubaublocks vorbei. Das Ehepaar auf der Pritsche gegenüber zieht sich die Jogginghosen an, Hauspantoffeln und leert ein Glas eingekochtes Schweinefleisch.

Seit Moskau liegen fast 1.300 Kilometer Schienen hinter uns, 30 Stunden Zugfahrt, der Ural und zwei Zeitzonen und außerdem ein paar Tage Aufenthalt in Jekaterinburg. Jetzt sitzen wir am Ende eines Großraumwaggons mit 52 Liegen, direkt neben der Tür zur Toilette. Es stinkt penetrant und die Tür knallt ständig gegen unsere Knie – die besten Plätze sind es nicht, die wir beim Einsteigen in Jekaterinburg ergattern konnten.

Der Zug hatte zwei Stunden Verspätung. Als er endlich einfuhr, brach im Bahnhof Panik aus. Die bis dahin friedlich Wartenden rissen die Waggontüren auf und überrannten mit ihren dicken karierten Plastetaschen die Zugbegleiterinnen. Sämtliche Plätze waren augenblicklich besetzt. „Svobodnye mesta – noch freie Plätze?“ – „Njetu – nö, gibt’s nicht, außer am Klo.“ Jetzt ist Frieden eingekehrt. Die in Nebel getauchte Landschaft vor dem Fenster zieht Stunde um Stunde vorüber, plötzlich bleibt sie stehen. Fünf Minuten, zehn Minuten, der Zug bewegt sich nicht. Ein Gerücht geht in Form einer blonden Zugbegleiterin durch den Waggon: Der Zug sei kaputt oder die Schienen, oder beides, so klar ist das nicht. Nur eins wissen wir sicher, der Zug sitzt fest. Unter den Passagieren entsteht Gemurmel. Man kommt sich näher, und der Samowar am Ende des Waggons spendet heißes Teewasser.

Eine ältere Frau aus Aserbaidschan will uns unbedingt Fotos von ihrem Sohn zeigen. „Ihm“, erzählt sie, „geht es gut. Er ist in Deutschland.“ Auf den abgegriffenen Bildern steht Jerish inmitten einer Containersiedlung, wahrscheinlich das Asylbewerberheim, auf einem anderen grinst er stolz vor den Holzzäunen einer perfekt gepflegten deutschen Eigenheimsiedlung.

„Seit Ewigkeiten habe ich ihn nicht mehr gesehen, nicht mal gesprochen.“ Alles Geld, was Jerish sparen kann, schickt er nach Hause. Fürs Telefonieren bleibt trotzdem nichts übrig. Sie will ihm schreiben, dass sie uns getroffen hat.

Plötzlich gibt es einen Stoß, der Zug setzt sich holpernd in Bewegung weiter Richtung Novosibirsk.