Wenn die Iren Nein sagen

Damit die EU-Erweiterung auch nach einer irischen Ablehnung des Nizza-Vertrags klappt, müssten Machtfragen neu verhandelt werden. Und das Gefeilsche ginge von vorne los

BRÜSSEL taz ■ Der Sprecher musste es in den vergangenen Wochen täglich vor der Presse beteuern: Die EU-Kommission hat keinen „Plan B“ für den Fall in der Schublade, dass die Iren den Vertrag von Nizza ein zweites Mal ablehnen. Das glaubt natürlich niemand. Schließlich will der Gipfel der Staats- und Regierungschefs schon vier Tage nach dem Referendum den Fahrplan für die Erweiterung präzisieren.

Deshalb ist davon auszugehen, dass im Fall eines Neins die nötigen Vertragsänderungen in die Beitrittsverträge geschrieben werden. Denn es müssen mindestens drei Fragen beantwortet sein, bevor neue Mitglieder aufgenommen werden: Wie werden die Stimmen für Abstimmungen mit qualifizierter Mehrheit im Rat neu verteilt? Wie viele Sitze hat jedes Land im EU-Parlament? Wer schickt wie viele Kommissare nach Brüssel?

Diese Machtfragen haben aber schon in Nizza zu Gefeilsche geführt. Es ist deshalb denkbar, dass eins der Länder, die sich damals schlecht behandelt fühlten, nun sein Veto einlegt. Oder ein Mitgliedsland nutzt die Verfahrensfragen als Vorwand, um die Erweiterung zu blockieren. Dann müssten das Ergebnis des Reformkonvents und die sich anschließende Regierungskonferenz abgewartet werden. Die nächste Erweiterungsrunde käme frühestens 2007.

Der jüngste Rücktritt der niederländischen Regierung verkompliziert die Sache. Mit Neuwahlen rechnen Zeitungen in Holland erst im Januar – nach dem Erweiterungsgipfel von Kopenhagen. Ob eine kommissarische Regierung sich legitimiert fühlt, im Dezember der Aufnahme zehn neuer Mitglieder in die EU zuzustimmen, ist offen.

Auch Hollands Nachbar Belgien könnte ein irisches Veto zum Vorwand nehmen, neu über die Stimmengewichtung im Rat zu diskutieren. Belgiens Premier Guy Verhofstadt hatte in Nizza nur auf massiven Druck hin zugestimmt, dass der Nachbar Holland eine Stimme mehr im Ministerrat bekommt. Ist diese „Büchse der Pandora“ erst mal geöffnet, könnte vom mühsam ausgehandelten Kompromiss von Nizza nichts übrig bleiben.

Offen ist auch, ob für die Beitrittsverträge nach Plan B nicht wiederum ein Referendum in Irland fällig würde. Kenner des dortigen Rechtssystem erinnern daran, dass bislang nur ein Mal – 1986 – der Versuch gemacht wurde, die EU-Verträge ohne Referendum zu ändern. Damit sollte die Einheitliche Europäische Akte in Kraft gesetzt werden, die die Römischen Gründungsverträge reformierte. Doch das Oberste Gericht Irlands kassierte die Unterschrift der Regierung: Die Akte berühre Verfassungsprinzipien und könne daher nur vom irischen Volk angenommen werden – in einem Referendum.

DANIELA WEINGÄRTNER