Wellness-Kur, einfach und chinesisch

Ein interkultureller Beitrag zum Wohlbefinden. Übungen und Rezepte für den schlichten und schnellen Hausgebrauch. Unsere Autorin hat alle Rezepte und auch die allermerkwürdigsten Tinkturen gebraut, gemischt und mit mehr oder weniger großem Erfolg an sich selbst ausprobiert

von ALICE GRÜNFELDER

Skepsis. „Heilwissen aus dem Reich der Mitte“, in dünnem Taschenbuchformat, wie anders als eklektisch kann man sich dieser jahrhundertealten Tradition nähern? Waren hier womöglich wieder Autoren am Werk, die skrupellos Fernöstliches dem westlichen Rezipienten mundgerecht anbieten, um einmal mehr dessen exotische Bedürfnisse zu befriedigen?

Weit gefehlt – als ich mit dem Daumen von hinten losblättere, bleibt mein Blick sogleich am Quellenverzeichnis hängen: Hier wurde nicht von anderen Ratgebern ab- und dann wieder zusammengeschrieben, sondern eine eindrucksvolle Liste mit allen relevanten Werken der chinesischen Medizingeschichte (im Original!) zu Rate gezogen und in offensichtlich akribischer Feinarbeit Nützliches zu einem handlichen Kompendium zusammengestellt.

Die chinesische Medizin setzt auf Prävention: Es gilt stets, das seelische und physische Gleichgewicht zu wahren und das energetische Gesamtgefüge aufrechtzuerhalten. Der Körper wird nicht erst dann wahrgenommen, wenn er Schmerzen bereitet und es ohnehin zu spät ist, sondern mit Massage, Diät und Gymnastikübungen in Einklang mit der Natur, den fünf Elementen und den Jahreszeiten gebracht.

Medikamente an Kranke zu verabreichen und Aufstände zu unterdrücken, die bereits ausgebrochen sind, ist dem Verhalten von Leuten zu vergleichen, die, wenn sie Durst verspüren, mit dem Ausheben eines Brunnenlochs beginnen oder Waffen schmieden, wenn die Schlacht bereits tobt.

Ohne jeglichen Anflug von missionarischem Eifer, der so manchem Buch eigen ist, wenn es östliche Weisheiten vermitteln will, beschreiben die Autorinnen kurz und knapp das chinesische Medizinsystem. Hier und da streuen sie amüsante Anekdoten ein und – das Wichtigste – geben leicht umsetzbare Tipps und Rezepte in die Hand.

Ich muss weder stundenlang Kräuterreste vom Pfannenboden kratzen, und auch der Geruch des stundenlang vor sich hin köchelnden Kräutersuds bleibt mir erfreulicherweise erspart, muss mich weder masochistisch verrenken, um irgendwelche Verspannungen loszuwerden, oder viel Zeit investieren, um seltene Zutaten zu suchen oder ausgetüftelte Rezepte zu studieren. Und für fast alles gibt es Rat. Kein Kraut ist beispielsweise gegen graue Haare gewachsen, zumindest hierzulande, die Autorinnen aber offerieren ein wunderbares Rezept.

Mittel gegen frühzeitiges Ergrauen:

250 g schwarzer Sesam, 250 g Walnusskerne, 500 g brauner Zucker

Den schwarzen Sesam und die leicht zerstoßenen Walnüsse in einer Pfanne (am besten teflonbeschichtet, damit kein Fett nötig ist) anrösten, bis sie duften, dann beiseite stellen. Den braunen Zucker in einen Topf geben und mit etwas Wasser zu einem zähen Sirup verkochen. Die gerösteten Nüsse in den flüssigen Zuckersirup einrühren. Anschließend auf ein gefettetes Backblech gießen und so lange abkühlen lassen, bis die Masse schneidfähig ist. Zuerst in lange Streifen und dann in kleine Quadrate schneiden, die nach Belieben gegessen und auch längere Zeit aufbewahrt werden können.

Glücklicherweise hatten sie die zerquetschten Kaulquappen weggelassen, die – hält man sich streng an die Vorschrift – unter Sesam und Walnüsse gemischt werden müssten. Die westlichen Tierschützer würden sich empören und unsere Mägen revoltieren. Diese süße Nuss-Sesam-Mischung schmeckt nicht nur richtig gut, sondern soll auch noch eine positive Wirkung erzielen, wenngleich sich diese wie bei allen chinesischen Therapien erst nach regelmäßiger und langer Anwendung einstellt. Solange das Zeug schmeckt, lass ich mich jedenfalls auf den Versuch ein.

Natürlich verschwinden die grauen Strähnen nicht über Nacht, wie ich morgens beim Blick in den Spiegel leider immer noch skeptisch feststelle, aber schimmert da nicht was? Fühlt sich das Haar nicht ein bisschen voller an? Und wenn ich angeblich 50- bis 100-mal mit den Fingerkuppen beider Hände ausdauernd und täglich klopfe, sollen meine Haare weniger schnell grau werden. Na ja, ein paar Mal kann man das ja ausprobieren.

Chinesen lassen Drachen im Frühjahr steigen, um den Körper nach den dunklen und feuchten Wintermonaten so recht durchlüften zu lassen. Es wird neuerdings sogar Kindern empfohlen, die zu viel vor dem Computer sitzen. Jede Jahreszeit hat ihre Tücken und Riten. Im Herbst muss man sich auf den Winter vorbereiten, man sollte sich langsam abkühlen und wärmende Speisen zu sich nehmen, wenngleich hierzulande auf Hund und Schlange verzichtet werden kann – noch einmal Glück gehabt. Eine Abfolge von Herbstübungen werden seit der Tang-Dynastie (618–907) von Generation an Generation weitergereicht.

Arm- und Handgelenkübung: Die Finger ineinander verschränken, dann mit gestreckten Armen die Handflächen nach außen wenden und wieder zurück zum Körper drehen, insgesamt 30-mal.

Den Bogen spannen:

Die linke Hand nach vorne strecken, als hielte man einen Bogen. Mit der rechten Hand die Sehne des Bogens in voller Länge spannen, das heißt die rechte Hand kraftvoll nach hinten ziehen. Dann die Seite wechseln und je 30-mal wiederholen.

Ins Leere boxen:

Die rechte Hand in die Taille stemmen. Mit der Linken eine Faust bilden und 30-mal nach vorne ins Leere boxen. Dann die Seite wechseln.

Den Himmel stützen:

Den linken Arm mit gestreckter Hand nach oben über den Kopf führen, als wollte man den Himmel stützen. Diese Bewegung kraftvoll 30-mal ausführen, dann die Seite wechseln.

Den Rücken klopfen:

Die Hände zu lockeren Fäusten ballen. Zuerst mit der Linken, und zwar mit dem so genannten „Tigerrachen“ (das Polster zwischen Daumen und Zeigefinger), 30-mal den Rücken klopfen. Dann auf die rechte Hand wechseln.

Wie Schuppen fällt es mir von den Augen, wieso die alten Leutchen immer durch chinesische Parkanlagen schlendem und sich dabei selbst auf den Rücken klopfen, als stecke ihnen etwas im Hals. Überhaupt ist das Anti-Aging-Programm beachtlich, nach dem Motto: Lieber frühzeitig damit anfangen, als im Alter dahinzusiechen. Chinas alte Menschen sind der lebendige Beweis für wirksame Vorbeugung.

Gut, im Herbst also sich selbst auf den Rücken klopfen, einmal links, und dann wieder rechts. Und wenn ein Ehemann merkt, „dass seine Frau im Herbst zum Frösteln neigt“, kann der Mann ihr mit einer einfachen Fußmassage helfen.

Vom Fußbad hingegen ist erst im Winter die Rede. Und im Winter setze ich ganz auf Ingwertee. Sobald meine Nasenspitze kalt wird, die Kälte durch meine Knochen zieht und der Kopf schwer wird, renne ich in den nächsten Asia-Shop, um mich mit zwei gehörnten Riesenknollen Ingwer zu bewaffnen und die heimtückisch heraufziehende Erkältung gleichsam zu beschwören.

Ingwertee:

Brühen Sie ihren gewohnten schwarzen Tee mit ein paar Scheiben frischem Ingwer auf. Lassen Sie ihn lange ziehen und schmecken Sie ihn nach Bedarf mit Honig und Milch ab.

Sehr anwendungsfreundlich ist die Übungsfolge vor und nach der Arbeit, nur erfordert sie schon ein außerordentlich gesundes Selbstvertrauen, im Großraumbüro mit verschränkten Händen in Brusthöhe vor dem Computer zu sitzen. Da könnte man schnell in Verruf geraten und möglicherweise der Zugehörigkeit irgendeiner dubiosen Sekte verdächtigt werden, die Computer anbetet.

Das sehr wohltuende Armschwingen hingegen löste nachts auf dem Kurfürstendamm bei keinem Passanten auch nur die leiseste Verwunderung aus, jedenfalls hat niemand die Stirn gerunzelt oder den Kopf geschüttelt. Das hätte ich im Dunkeln ohnehin nicht sehen können. Offensichtlich sind die Berliner einiges gewöhnt und es würde sie möglicherweise auch nicht weiter wundern, wenn jemand 10 Minuten lang rückwärts geht, was ebenfalls empfohlen wird, um die Energie gleichmäßig im Körper zu verteilen. Doch zu dieser interkulturellen Herausforderung fehlte mir dann doch der Mut. Just zu dem Zeitpunkt, als mein Backenzahn wieder einmal zu schmerzen begann, stieß ich auf die Zahnfleischmassage.

Mit dem Handballen der rechten Hand von außen das Zahnfleisch mit sanftem Druck massieren. Den Oberkiefer von oben nach unten massieren, den Unterkiefer von unten nach oben.

Überglücklich stimmte mich der Behandlungserfolg schon nach wenigen Tagen, denn ich hätte in der Woche ohnehin keine Zeit für den Zahnarzt gehabt. Und normalerweise stellt sich der Erfolg ja wie gesagt erst nach geraumer Zeit ein.

Aber auch andere Tipps wirken, wenn nicht sofort, dann immerhin sehr wohltuend, das gilt für ausschließlich alle Übungen bei Rückenverspannung. Der leidigen Schlaflosigkeit soll man anscheinend mit einer ganz besonderen Schlafhaltung beikommen, doch jedes Mal, wenn ich dann kurz vor dem Einschlafen bin, ist die Haltung so unerträglich unbequem, dass ich mich rumwälze und sofort wieder total wach bin.

Man braucht schon sehr viel Selbstdisziplin, wenngleich sich tatsächlich einiges recht gut in den Alltag integrieren lässt. Egal, ob ich in der U-Bahn fahre oder an der Bushaltestelle stehe, mal kurz die Fäuste ballen und die Arme strecken, und schon durchströmt mich ein angenehmes Wohlbefinden. Das hält dann zwar leider nie lange an, aber lädt einen wie ein kleiner Blitz energetisch auf.

An der Kreuzung warten. Wenn die Ampel rot ist, soll man die Bauchmuskeln so lange anspannen, bis die Ampel auf Grün schaltet. Auf diese praktische Weise stärkt man die Bauchmuskeln und beugt einem „Bäuchlein“ vor.

Für fast alle Empfindlichkeiten gibt es Rezepte und Massagetechniken, auch die männlichen Bedürfnisse werden nicht vernachlässigt. Amüsant war der herbstliche Ratschlag, dass Mann sich die Hoden massieren sollte, und ich musste sofort an Michel Houllebecqs Roman „Plattform“ denken – eine einzige Hodenmassage!

Ein „Schatzkästlein“ sei dieses Sammelsurium von altbewährten Tipps, meint der Klappentext etwas bieder. Dennoch hätte ich das Büchlein gern in drei Exemplaren: einmal für zu Hause, für unterwegs und fürs Büro. Denn im Moment kann ich mir die vielen Ratschläge nicht merken, für diese Gedächtnisleistung muss ich womöglich noch viele Teller Tofusuppe löffeln.

Tofu-Pilz-Suppe:

250 g Tofu, 100 g frische Pilze (Champignons oder Egerlinge), etwas Salz, Speiseöl, Sojasoße, 1 EL Sesamöl, 1 Scheibe Ingwer in feine Streifen geschnitten

Den Tofu kurz abwaschen und in kleine Würfel schneiden. Die Pilze waschen, putzen und in Scheiben schneiden. Die Ingwerstreifen in etwas Speiseöl anbraten, bis sie duften, dann den Tofu und die Pilze hinzugeben und ebenfalls kurz anbraten. Das Ganze salzen und mit klarem Wasser zu einer Suppe aufgießen, so dass die Zutaten bedeckt sind. Aufkochen und auf kleiner Flamme 10 Minuten köcheln lassen. Mit Sojasoße und Sesamöl abschmecken. Die Suppe stärkt das Qi, löst Schleim und fördert die Hirnfunktion.

Susanne Hornfeck/Nelly Ma: „Chinesische Hausmittel. Heilwissen aus dem Reich der Mitte“, dtv, München 2002, 158 Seiten, 9 €.