DAS PROBLEM DES PREUSSEN STOLPE IST SEIN AUTORITÄRES BILD VOM STAAT
: Stasispitzel? Schnurzegal!

Stephan Hilsbergs Kritik an der Ernennung Manfred Stolpes zum „Aufbau Ost“-Minister wird die erwartbare Folge haben: Der Minister bleibt, der parlamentarische Staatssekretär geht. Die sozialdemokratischen Reaktionen auf die Stolpes IM-Tätigkeit betreffende Anklage folgten dem Schema der uneingeschränkten Solidarität, unterfüttert mit Attacken auf Hilsberg, den Nestbeschmutzer. Auch das Publikum winkte ab. Alles, was über Stolpe, den „IM Sekretär“ zu sagen ist, wurde vor langem ausgebreitet. Es hat Stolpes Karriere nicht geschadet, sondern genutzt. Die Brandenburger Landeskinder spiegelten sich in den Windungen und Wendungen der Biografie des Landesvaters.

Soll man jetzt Stephan Hilsberg Mut und Nonkonformismus attestieren, ihn als Streiter wider das Vergessen feiern? Daran sind Zweifel angebracht. Sie gründen sich auf den Kernsatz von Hilsbergs Angriff, mit Stolpes Ernennung sitze „zum ersten Mal die ‚Firma‘ (also das MfS) mit am Kabinettstisch der Bundesrepublik“. Dies zu sagen ist etwa so aufklärerisch wie der Satz: „Mit Kurt-Georg Kiesinger stellte die NSDAP zum ersten Mal einen Kanzler der BRD.“ Schädlicher als diese marktschreierische Polemik ist aber, dass mit dem Recycling des IM-Vorwurfs verfehlt wird, was an der DDR-Karriere Stolpes wirklich problematisch ist.

Es ist nämlich letztlich schnurzegal, ob Stolpe nun inoffizieller Zuträger des MfS war oder nicht. In Frage steht vielmehr, ob seine Mittlertätigkeit zwischen Staat und Kirche nicht einer Gedankenwelt entsprang, die gut lutherisch den Realsozialismus als Obrigkeit akzeptierte, die sich mit den SED-Oberen einig war im Abscheu gegen alles Unbotmäßige, Friedenstörende. Wenn Stolpe sich bei seinen Gesprächen mit dem MfS verächtlich gegenüber der demokratischen Opposition unter dem Dach der Kirche ausließ, auch mit Ratschlägen zu deren „Pazifizierung“ nicht geizte, so handelte er nicht nur aus schierem Opportunismus. Er war Fleisch vom Fleisch des autoritären Staates, ein protestantischer Preuße. Diesen für die Gegenwart entscheidenden Punkt hat Hilsberg ausgeblendet.

CHRISTIAN SEMLER