„Es ging doch nicht um Macht für uns“

Claudia Roth, Parteivorsitzende der Grünen, über die Weigerung des Parteitags, die Trennung von Amt und Mandat aufzuheben

taz: Frau Roth, haben Sie schon entschieden, welche Konsequenzen Sie aus der Abstimmung ziehen?

Claudia Roth: Ich akzeptiere natürlich die Entscheidung der Bundesdelegiertenkonferenz. Ich werde aber mein Mandat im Bundestag nicht noch einmal zurückgeben. Man braucht mich also nicht, wie es ja offenbar von verschiedenen Seiten überlegt wird, aufzufordern, das Mandat aufzugeben und im Dezember wieder zu kandidieren.

Wie geht’s weiter?

Wie geplant: Heute Abend ist frei, am Sonntag gehe ich zu Bruce Springsteen, am Montag tagt der Bundesvorstand.

Sie und Fritz Kuhn wollten mehr Macht, der Parteitag hat Sie Ihnen verweigert. Haben Sie zu hoch gepokert?

Es ging doch nicht einfach um Macht für uns persönlich! Wir wollen eine starke Partei, und ich finde, wir vom Bundesvorstand haben eine Satzungsänderung vorgeschlagen, die viel an Bedenken und Befürchtungen im Hinblick auf Machtkonzentration aufgegriffen hat.

Können Sie sich einen Kompromiss mit den Gegnern der Satzungsänderung vorstellen?

Der Antrag, auf den wir uns nach vielen Gesprächen noch am Freitagabend verständigt hatten, war ja bereits ein sehr kluger Kompromiss. Und nach einer solchen Entscheidung denke ich jetzt noch nicht sofort darüber nach, wie ein künftiger Bundesvorstand aussehen könnte. Da sind erst mal andere gefragt.

Welche anderen?

Die Delegierten, die gesamte Partei und natürlich auch die, die diese konkrete Entscheidung herbeigeführt haben.

Es gab bereits Spekulationen, der nächste Parteitag im Dezember könnte noch einen Ausweg finden.

Da mögen andere spekulieren – ich jedenfalls nicht. Vielleicht waren wir einfach zu erfolgreich die letzten Monate.

Wie bitte?

Das haben viele Delegierte hinterher gesagt. Es war ein toller Wahlkampf, wir haben das beste Wahlergebnis aller Zeiten, wir sind so geschlossen wie noch nie, alle sind zufrieden. Warum sollen wir also was ändern?

Es gab aber auch viel Ärger in der Partei wegen Obrigheim, wegen Rezzo Schlauchs Bonusmeilen. Hat das grüne Spitzenteam diesen Frust nicht zu sehr niedergebügelt, bis er sich anderswo entladen hat?

Aber das stimmt doch nicht. Über Obrigheim ist auf dem Parteitag diskutiert worden, und am Ende hatten wir einen Beschluss, der fast einstimmig war. Es ist über Rezzo diskutiert worden, und auch dazu gab es Beschlüsse. Außerdem haben wir eine Partei, die so intelligent ist, nicht nur Ventile zu brauchen.

Was ist dann die Botschaft dieser Entscheidung?

Es gibt keine eindeutige Botschaft. Es gab auf dem Parteitag ein gewisses Grummeln. Gerade am Anfang waren die einen wegen diesem ein wenig grantig, die anderen wegen jenem. Vielleicht ist die Partei doch zu protestantisch und kann sich nicht mal so richtig freuen über das, was vor vier Wochen am Wahlabend gelungen ist.

Reichen die Ursachen nicht tiefer? Ist damit nicht auch der Führungsstil eines Spitzenteams abgestraft worden, das mit zu großer Selbstverständlichkeit davon ausgeht, die Partei wird den Vorgaben von oben schon folgen?

Das ist doch Quatsch. Die Gruppe, die den Antrag zu Fall gebracht hat, ist eine Minderheit. Dazu gehören Teile von Linken um Christian Ströbele. Aber es war noch nicht mal so, dass die vereinigte Linke blockieren wollte. Wenn Sie sich das Ergebnis anschauen, sehen Sie, dass viele führende Linke unseren Kompromiss unterstützt haben: Bärbel Höhn, Frietjof Schmidt, Klaus Müller.

Das heißt, die innergrüne Opposition von heute hat wenig mit der Fundamentalopposition von einst zu tun?

Früher waren die Fronten sicher klarer. Damals hat die Linke geschlossen gesagt, die Satzung wird nicht geändert, Punkt. Da war ich ja auch mit dabei.

Sie haben nie richtig erklärt, woher Ihr Sinneswandel kam.

Ich habe in meinem Amt eine Erfahrung gemacht, wo ich mich frage, was ist bei unserer Satzung heutzutage noch der demokratische Mehrwert? Ich frage mich jetzt, wie kann man im Sinne der Grünen eine Struktur schaffen, die die Partei stärkt, ohne Machtkonzentration und was es da noch an Befürchtungen gibt. Und ich bin inzwischen der Meinung, dass die kategorische Trennung die Partei eher schwächt.

Hätten Sie nicht ans Pult gehen müssen, um den Delegierten persönlich zu erklären, warum Sie Ihre Meinung geändert haben?

Ich wollte die Auseinandersetzung nicht in einer Weise personalisieren, dass es heißt: Schaut her, jetzt macht die Claudia auch noch die persönliche Erpressungsnummer. Den Vorwurf habe ich öfters gehört. Ich habe natürlich auch eine persönliche Vorstellung mit der Satzungsänderung verbunden, wie wir sie vorgeschlagen haben. Aber in erster Linie wäre es für die Partei eine richtig gute Geschichte gewesen.

Wenn es nur um die Sache gegangen wäre, hätten Fritz Kuhn und Sie doch vor Ihrer Listenaufstellung eine Satzungsdebatte anregen können.

Aber Sie sehen ja gerade, dass eine Satzungsdebatte bei uns nicht so leicht über die Bühne geht. Da hätten wir in einem Wahljahr wochenlang über das Innenleben der Grünen geredet – was für ein Irrsinn! Es war richtig, uns im Wahlkampf mit dem politischen Gegner auseinander zu setzen und nicht mit unserer eigenen Satzung. Das war im Sinne der Partei verantwortungsvoll. Und der Erfolg hat uns Recht gegeben.

Aber so haben Sie die Grünen mit fataler Zwangsläufigkeit in die Konfrontation getrieben. Hätten Sie und Herr Kuhn nicht darauf verzichten sollen, zusätzlich zu Ihren Parteiämtern für den Bundestag zu kandidieren?

Also, diesen Vorwurf habe ich nicht mal von Christian Ströbele gehört. Natürlich kann sich jeder Grüne für den Bundestag aufstellen lassen. Außerdem haben ja schon vor uns Parteisprecher wie Jürgen Trittin und Ludger Volmer für den Bundestag kandidiert – und sind halt nicht mehr in ihren Parteiämtern geblieben. Auch bei Fritz Kuhn und mir wussten alle, die es wissen wollten, schon lange vor Bremen, dass wir unser Mandat antreten werden.

Die PDS hat sich gerade zerlegt. Haben Sie gerade ein grünes Gera erlebt?

Nein, das war kein grünes Gera. Wir haben einen tollen Koalitionsvertrag, für den wir große Zustimmung in der Partei bekommen. Wir haben als Grüne sehr deutlich gemacht, was wir von Obrigheim denken. Wenn es um Strukturen geht, sind die Grünen eben eine Partei, die sehr vorsichtig ist.

Um es vorsichtig auszudrücken.

Um es vorsichtig auszudrücken.

INTERVIEW: PATRIK SCHWARZ