Klopfende Herzen

Liebe und Tod in Zeiten des sexuellen Freigeistes: Klaus Chattens Stück „Das Karussell“ am Maxim Gorki Theater

Das Stück lebt seit der Premiere von Mund-zu-Ohr-Propaganda. Das muss es auch, weil die Rezensionen nicht nur in den Berliner Blättern kein gutes Haar an Klaus Chattens „Das Karussell“ ließen und deren werbliche Wirkung also ausfällt.

Am giftigsten entsetzte sich Ernst Schumacher in der Berliner Zeitung „als bekennender Homosexueller“ über die „dramatische Collage“, die im Maxim Gorki Theater uraufgeführt wurde. Ein fast lutherisch anmutendes Bekennerschreiben, ein Verzweiflungsruf einer verwaisten Seele vielleicht, doch sitzt der Kritiker einem Missverständnis auf – bereitet „Das Karussell“ doch einen immergleichen Stoff auf: die Dinge der Liebe und Leidenschaft in den Metropolen. Nur dass die Protagonisten eben einer Mann-Mann-Spannung unterworfen werden.

Der Autor, Jahrgang 1963 und gewohnt, sich als schwuler Mann keine Frechheiten jener Sorte gefallen zu lassen, sagte zu dieser Kritik lediglich, dass er kein schwules Stück geschrieben habe, sondern eines über die Kälte der Großstadt, die die Liebe und vor allem die Intimität zur Seite schiebt und vielleicht undenkbar macht. Die Aufführungen geben ihm Recht: Es sind dem Augenschein nach auch heterosexuelle Theaterbesucher, die im „Karussell“ ein bisschen sich selbst zu erkennen scheinen – und die Kritik an den eisigen Beziehungsverhältnissen sich zu Eigen machen. Auch sie lachen über die Nöte und Sehnsüchte der Zweifler und Verführenden, über den Filmregisseur, der die Liebe schon abgeschrieben hat, und den jungen Olli, der sie einsetzen möchte. Regisseur Bernd Mottl hat das Anliegen gerecht inszeniert: Der Jüngere, Olli, der einen Handel will, den älteren also zu lieben beabsichtigt, wenn der ihm hilft, Karriere zu machen, rechnet selbst nicht mit der Hingabe, die er dem Älteren schließlich entgegenbringt. Beiden gruppiert Mottle eine Gruppe von muskulösen Callboys bei, die nichts anderes symbolisieren sollen als die Freischärler der Metropole, lockend, das kleine Beziehungsglück wenigstens ab und an miteinander auszusetzen und sich den Gesetzen der One-Night-Stands zu unterwerfen.

Was denen am Ende nicht gelingt. In seinem bewegenden Schlussmonolog berichtet der Filmregisseur, wie es ist, mit Olli, zusammenzuleben. Wie er sich fühlt, dessen Herz nächtens klopfen zu spüren. An dieser Stelle erweist sich, dass Chatten kein Epigone des Michel Houellebecq ist – kein Festredner auf sich zerstörende menschliche Beziehungen, sondern ein gusseiserner Romantiker, der keinen Millimeter von der Idee lassen mag, dass die Liebe in Zeiten des sexuellen Freigeistes möglich ist. Nur einen klitzekleinen Preis musste der Filmregisseur für dies Opfer der Liebe zahlen: Er hat sich bei Olli mit dem Aidsvirus infiziert – der Tod ist bei der Liebe. Billiger ist die Chose jenseits aller Käfige voller Narren womöglich nicht zu haben.

Das Stück am Maxim Gorki Theater scheint bildungsbürgerlichen Ansprüchen nicht zu genügen. Doch es unterhält. Und hält, was das Thema verspricht.

JAN FEDDERSEN

Nächste Vorstellungen, 22. 10. und2. 11., 19.30 Uhr, Maxim Gorki Theater, Am Festungsgraben 2, Mitte