Rituelle Reinigung eines eigentlich banalen Ortes

Atta-WG: Kunstprojekt in der Marienstraße 54 will der unvermietbaren Wohnung die negative Energie nehmen, aber keinen Voyeurismus bedienen

Eigentlich ist die Wohnung in der Harburger Marienstraße ein „Ort, der an Banalität kaum zu überbieten ist“, sagt der Theatermacher Stephan Hoffstadt. Berichte über die noch immer leer stehende Wohnung, in der Mohammed Atta und Kumpane die Attentate von New York und Washington planten, haben den Berliner zu einem Kunstprojekt inspiriert. „Warum will da niemand wohnen?“ Und: „Kann ein Ort an sich böse sein?“, hat Hoffstadt sich gefragt und kam schnell auf Fragen nach dem kollektiven Gedächtnis und nach der typisch deutschen Vergangenheits-Nichtbewältigung.

Ein Space Clearing soll den Menschen helfen, voyeuristische Impulse zu überwinden und die drei-Zimmer-Küche-Bad wieder als ganz normale Wohnung zu sehen. Erst dann, so glaubt Hoffstadt, wird sich wieder ein Mieter finden, mit dem Normalität einzieht. Für seine Idee hat er den Vermieter begeistert und unter anderem die Berliner Künstlerin Katrin Glanz gewonnen. Mit Hilfe von Fotografie, Projektion und Malerei macht sie aus der Wohnung ein temporäres Kunstwerk, das die Besucher beim Entstehen und Verschwinden beobachten können. Der Autor Hartwig Engelmann hat außerdem einen Text verfasst, in dem Erinnerungen verschiedener Personen zu einem „Raum-Text-Kontinuum“ verdichtet sind, das die Schauspielerin Verena Turba vorträgt.

Vor dem Haus läufteine Videoinstallation, bei der ältere Harburger von ihren Erlebnissen und der Zerstörung Harburgs im Zweiten Weltkrieg berichten. „Wir wollen keineswegs eins gegen das andere aufrechnen“, sagt Hoffstadt. Es gehe aber darum, dass die Häuser in der Marienstraße ihre Existenz diesem Ausbruch kollektiver Gewalt verdanken. Wer Details aus dem Leben der Attentäter erwartet, wird enttäuscht werden, „wir nehmen keinerlei Bezug auf den 11. September“, verspricht Hoffstadt.

Unerwünscht ist das Projekt, das dem Ort seine mediale Überfrachtung nehmen will, selber Teil ebendieser geworden: Nicht Feuilletonisten, sondern Redakteure für Politik und Zeitgeschehen interessieren sich für das Projekt. „Ausgerechnet, wenn die Welt nach Hamburg blickt, weil der Al Quaida-Prozess beginnt“, stöhnt das Fernsehen, Boulevard-Blätter bringen die Nachbarn in Stellung. Hoffstadt und seine Künstlerkollegen müssen sich rechtfertigen. Sie wehren sich dagegen, als Akteure einer Inszenierung missbraucht zu werden, gegen die sich ihr Kunstprojekt richtet. SANDRA WILSDORF

Freitag und Sonnabend jeweils von 18 bis 20 Uhr, Sonntag von 16 bis 18 Uhr