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Eine Röhre ins Jenseits

In Atom Egoyans früher Filmparabel „Speaking Parts“ verbinden kleine Kästchen die Trauernden mit den Toten

Auf tiefen Tönen gleitet man in das Innere von „Speaking Parts“, einem frühen Film von Atom Egoyan; kurz darauf befindet man sich allein mit einer Frau in der marmornen Ordentlichkeit einer Grabstätte, umgeben von unzähligen quadratischen Flächen, die die Inschriften von Toten tragen. Clara (Gabrielle Rose), die hier ihren Bruder beklagt, schaut weniger auf, sondern in dieses Kästchen hinein, und tatsächlich zeigt sich ein Bildschirm, der in das Leben mit dem Bruder führt. Ihrem Gesicht sind die stillen Zeichen eines Verlusts eingeschrieben, ein Raub, den der Tod vornahm. Doch wie in nahezu allen Filmen des kanadischen Regisseurs ist diese spezielle Versunkenheit der Lebenden einem Ort gezollt, auf den sie sich fortan beziehen, dem Ort des Erinnerns, wo sie sich mit jenen aufhalten, die nicht mehr sind, einem „süßen Jenseits“, wie ein früherer Film von Egoyan heißt, und wo auch die Wünsche sind, die das Leben verheißt, aber nicht einhält.

Von diesem Ort hinter dem Verlust tragen sie ihr Wissen in die Welt zurück: Clara schrieb ein Drehbuch, in dem sie die Geschichte des Bruders erzählt, der verstarb, als er ihr ein Stück Lunge spenden wollte. Und nicht nur die eigene Fiktion wird der Welt zurückgegeben: Lance (Michael McManus), der dem Bruder ähnelt, arbeitet als Hotelangestellter und Statist, und er wird mit all der Liebe versehen, die mit dem Bruder entstand – zuletzt auch mit dessen Filmrolle.

Auf Lance, dessen Name an die Linse erinnert, werfen noch andere ihren liebenden Blick. In Lisas (Arsinée Khanjian) Gesicht flackern ein Verlust und eine auf Lance hinübergerettete Liebe. Sie arbeitet in der Waschküche desselben Hotels. Wenn sie in das Auge der Waschmaschine starrt, erblickt sie Lance. Nachts guckt sie in die Röhre des Fernsehers und sieht Videofilme, in denen Lance als Statist zu sehen ist. Die Filme besorgt sie sich im Videoladen „After dark“. Auf die Frage des Videobesitzers, warum es immer dieselben Videos sind, erklärt sie: „Er ist mein Geliebter“, und, nach einigem Zögern: „Ich liebe ihn.“ Weder für Egoyan noch für Lisa ist es eine Tragödie, dass die Liebe eine subjektive, mitunter abgetrennte Geschichte bleibt – es ist nicht das Ende, sondern womöglich ihr regelmäßiger Anfang – ihre Voraussetzung gar? Das verleiht auch „Speaking Parts“ die in Egoyans Filmen eigenwillige verzauberte Leichtigkeit über mythologisch ausgehobenen Gründen.

Anstelle von Menschen sind die wahren Gefährten der Figuren kleine Kästchen, die Tiefen haben, um den Blick der Hineinschauenden mit Leben zu erfüllen. Wenn sie nicht gerade allein in ein tiefes Kästchen gucken, sondern zu zweit im Raum sind, wirken sie selbst wie Gestalten in einem tiefen Kästchen, von anderen Räumen und Röhren und Kästchen abgetrennt.

Nicht das Dasein, sondern die Fantasie und alles, was zu ihrem Vermögen gehört, um Welten (wieder)herzustellen, bewahrt die Menschen vor dem endgültigen Tod. Der scheint zu passieren, als der Filmproduzent Claras beschließt, die Schwester aus dem Film zu nehmen, ihn mit einem zweiten Bruder zu ersetzen und aus dem Ganzen eine Talkshow zu machen. Der Eingriff scheint gravierender, als es der reale Tod vermocht hatte.

MARGARETH OBEXER

„Speaking Parts“. Regie: Atom Egoyan. Mit Michael McManus, Arsinée Khanjian, Tony Nardi, Kanada 1989, 92 Min.

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