Katastrophen-Knipser

Zwischen Action-Bild, Wahrheits-Beleg und Therapie-Hilfe: Das Neue Museum Weserburg zeigt 500 Fotos rund um den 11. September

„Welcome to hell“, hat jemand mit dem Finger auf die zentimeterdick mit Staub bedeckte Heckscheibe eines Autos geschrieben. Der Staub stammt vom frisch explodierten World Trade Center, die Szene hat ein Amateur fotografiert. Ist das Kunst? „Ja“, sagt Thomas Deecke, Direktor des Neuen Museums Weserburg (NMWB), das ab Sonntag 500 der mehr als 7.000 Fotografien zeigt, die New Yorker AusstellungsmacherInnen gesammelt haben.

Vor allem AmateurfotografInnen, aber auch Profis haben das Material für „Here is New York“ beigesteuert. Bis vor wenigen Wochen war die Schau in unmittelbarer Nähe von Ground Zero zu sehen. Die ganze Zeit über konnten weitere Bilder eingereicht werden, von jeder Einsendung wurde mindestens eines in die Sammlung aufgenommen. Einzige Bedingung: Die Bilder mussten in einem Zusammenhang mit dem 11. September stehen.

Ein abgerissenes Bein liegt da auf dem Asphalt, Menschen starren mit entsetzten Gesichtern nach oben. Haushohe Staubwalzen füllen die Straßenschluchten. Bilder, wie sie jeder aus Katastrophenfilmen kennt, mit dem einzigen Unterschied, dass sie nicht Fiktion sind, sondern Realität.

Deecke verweist auf eine „Bildersprache, die zum Allgemeingut geworden ist“. Das Liebespärchen auf dem Trümmerhaufen, der Coca-Cola-Lkw im Schutt vor verbogenen Stahlskeletten. Und immer wieder Feuerwehrleute, Sherrifs, verschwitzt, ausgelaugt, die Uniformen verdreckt, mit Atemmasken vor dem Mund und Tränen in den Augen. Einer hat die Hand zum Salut an die Stirn gehoben: Ikone patriotischer Träume.

Voyeurismus wurde der Schau vorgeworfen, und, dass die Bilder politisch instrumentalisiert würden. Dörte Nimz, die im Auftrag der Bundeszentrale für politische Bildung mit der Ausstellung durch Deutschland tourt, widerspricht beidem. Natürlich projiziere jeder in die Bilder hinein, was er wolle. Davon gäben die Kommentare in den Gästebüchern – von islamfeindlichen Äußerungen bis hin zu „Gewalt ist keine Lösung“ – reichlich Zeugnis. Aber: „Es geht nur darum, zu dokumentieren, was passiert ist.“

Museumsdirektor Deecke ist überzeugt, dass zumindest ein Teil der Fotografien später nicht nur als historische, sondern auch als künstlerische Dokumente gelten werden.

In New York habe die Ausstellung „therapeutischen Charakter“ gehabt, sagt Nimz. Die Bilder dienten den Menschen als Beleg dafür, „dass es wirklich passiert ist“. Die FotografInnen selbst hegen da mehr Zweifel. Einer hat ein Pappschild abgelichtet, das an einer Absperrung hängt. „Ich frage mich, ob du wirklich siehst, was hier ist, oder ob du damit beschäftigt bist, das perfekte Bild zu schießen“ steht auf Englisch darauf.

Armin Simon

„Here is New York“: 27. Oktober bis 19. Januar im Neuen Museum Weserburg Bremen, Teerhof 20. Täglich außer Montag, Eintritt frei. Den Eröffnungsvortrag hält am Sonntag um 11.30 der Psychologe Jens Förster von der International University Bremen (IUB). Alle Bilder sind auch unter www.hereisnewyork.org zu sehen und zu erwerben. Der Erlös kommt einem Hilfsfonds zugute