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: Kraft tanken! Neuen Lebensmut bekommen! Grün wählen! Du! Eine Nachlese des Bruce-Springsteen-Konzertes in der Berlin-Arena

Zurück in die Zukunft, Teil V

Bei Konzerten der Größenordnung eines Bruce Springsteen hat alles seine feste Ordnung: Wenn auf der Eintrittskarte „Block 10, Reihe 9, Platz 20“ steht, muss man dahin, da hilft nichts, da sind die Ordner beinhart, andere Blöcke, der Innenraum und selbstverständlich der VIP-Bereich sind tabu.

So trifft man nur wenige Leute und kann erst zwei Tage später den Gesellschaftsteilen der FAZ und BZ entnehmen, wer sonst so bei Springsteen war: Klaus Wowereit zum Beispiel, der bei „Born To Run“ begeisterte Luftsprünge machte; „Top-Model“ Eva Padberg; oder Tatort-Kommissar Dominik Raake, der alte Rocker. Nicht zu vergessen natürlich Claudia Roth, die immerhin in einem taz-Interview ihr Kommen ankündigte. Roth war ganz aus dem Häuschen, als Springsteen endlich „Born In The USA“ zugab, und sie erzählte später auf einer Grünen-Pressekonferenz, dass sie bei Springsteen ordentlich „Kraft“ für ihre Politarbeit „getankt“ hätte.

Hatte man sich während des gesamten Konzerts eines gewissen Unwohlseins nicht erwehren können, ja, fühlte man sich hier wie seinerzeit bei Fool’s Garden („Lemon Tree“) im Metropol auf einem völlig anderen Planeten, so setzte Roth mit dieser Aussage noch schön einen drauf: Kraft tanken! Neuen Lebensmut bekommen! Zukunft gestalten! Grün wählen! Rock hören! Du! Ich brauche das heute einfach!

Mehr noch als Springsteen mit „Dancing In The Dark“ verwies Claudia Roths Konzertbesuch direkt in die Achtziger: Damals hatte man schon so seine Probleme mit den unentwegt besorgten und kuscheligen Latzhosenträgern und Birkenstöcklerinnen; schon damals wusste man um die Kluft, die Grünen zu wählen, sie andererseits aber in Sachen Styles oder Musik sehr daneben zu finden.

Mit „Dancing In The Dark“ verhielt es sich ähnlich: Hübscher Song, aber Chartmusik, so wie „Born To Be Alive“ von Patrick Hernandez, und so gar nichts gegen einen Morrissey oder einen Jeffrey Lee Pierce! Mehr als fünf Minuten hat man sich für Springsteen eben doch nie begeistern können. Claudia Roth macht einem das heute nicht viel leichter. Altersmilde hin oder her. Immerhin kann man jetzt anders als in den Achtzigern PDS wählen (obwohl deren Versuche, cool zu sein, fast noch schlimmer sind als Claudia Roths Rockbegeisterung).

Umso überraschter ist man dann bei der eigenen Springsteen-Aftershow im Bastard, beim Konzert von Komëit und Masha Qrella. Dort stehen Christoph, David und Christiane an der Theke und sind, was Springsteen anbetrifft, ganz relaxt. Fast scheint es, als hätten sie ihn auch gern gesehen. „Okayer linker Patriot“ (Christoph), „ ‚I’m On Fire’ ist doch ein tolles Stück“ (Christiane), „Ja, genau, und ‚Dancing In The Dark‘ auch!“ (David).

Genauso überraschend ist, dass auch das Bastard fast ausverkauft ist. Komëit und Masha Qrella kennt man zwar zur Genüge in Berlin, doch das Publikum wächst und wächst und ruft „pssst!“, wenn jemand zu laut spricht bei Komëits superleiser Musik.

Aber ausverkaufte Konzerte überhaupt: Prince, Springsteen, in einer anderen Liga Suede oder die Vines, dann Komëit und Masha Qrella oder die Neustadt-Konzerte von Bohren oder Raumschmiere – da ist in diesem Jahr so viel wie sonst noch nie von Krise und Rezession die Rede, aber auf Konzerte mag wohl keiner verzichten.

Andererseits ist es gut vorstellbar, dass das Springsteen-Publikum dieses Jahr das erste Mal auf einem Konzert war. Wünschenwert wäre es also, wenn Claudia Roth nächste Woche auch bei J. Mascis im ColumbiaFritz Kraft tanken würde. Dann könnte man auch ihre Haltung zu Rock noch mal neu überdenken. GERRIT BARTELS