: Ein Label für jede Tonart
Mein Bug, dein Bug: Der House-Musiker Steve Bug gewinnt der Krise der Musikindustrie gute Seiten ab. Nur manchmal weint er ums schöne Vinyl, mit dem die Major-Labels die Presswerke verstopfen
von MAX DAX
Das eine Label heißt Dessous, also Damenunterwäsche. Das andere Poker Flat, also ein gutes Blatt im Glückspiel der Glücksspiele. Beide veröffentlichen House-Musik. Die jungen Männer, die dahinter stehen, heißen Tobias Lampe und Steve Bug. In Hamburg sind die zwei so etwas wie Koryphäen einer minimalistischen Spielart von House. Inmitten der größten Zäsur, die die Musikbranche seit Jahrzehnten durchzustehen hat, behaupten sie sich derzeit schadlos, wenn nicht sogar krisengewinnend.
Auf Poker Flat hat Steve Bug vor kurzem ein sehr gutes, „Sensual“ betiteltes Album unter eigenem Namen veröffentlicht. Bemerkenswert an dieser Veröffentlichung ist aber weniger der reduzierte Funk, der die zwölf coolen House-Tracks Steve Bugs durchzieht – inklusive aller Referenzen an Kraftwerk und die Strickmuster, auf denen House nach wie vor aufbaut –, sondern vor allem, dass sie symptomatisch für ein neues Selbstverständnis des House-Musikers steht: das des Mannes ohne Eigenschaften.
Keine vorschnellen Urteile: Die House-Szene ist ein Haifischbecken. Entscheidend ist, kontinuierlich Akzente zu setzen. Vor wenigen Jahren noch undenkbar, ziert daher ein Porträt des Musikers das Cover. „Ich will als Steve Bug wahrgenommen werden“, sagt Steve Bug dazu. „Ich halte von dieser ganzen Gesichtslosigkeit ohnehin nicht mehr so viel. Es war bei uns die Lust da, nach all den Jahren mit abstrakten Schallplattenhüllen, Fotoverbot und kryptischen Presseinformationen aus der Versenkung herauszutreten. Und nicht die hundertste Platte mit einem schönen Cover zu haben, bei der wieder keiner weiß, wer oder was dahinter steckt.“
Steve Bug alias Stefan Brügesch ist zu gleichen Teilen Produzent, DJ und Geschäftsmann. Die oft mühsame und verschleißreiche Kommunikation zwischen den einzelnen Instanzen – also dem Künstler, der einen Track oder ein Album produziert, dem kreativen Direktor (A & R) der Schallplattenfirma und jenen Schaltstellen, die ein fertig eingespieltes Werk vermarkten – ist in einer Konstellation, wie sie von Bug und Lampe festgezurrt worden ist, gleichgeschaltet. Nicht nur sind die Kommunikationswege kurz. Auch ein spröder Begriff wie Labelpolitik bekommt eine ganz andere Bedeutung. „Mir eröffnet die Möglichkeit, frei zu bestimmen, auf welchem Label ich eine Nummer veröffentlichen möchte, große künstlerische Freiheiten. Auch die Arbeitsweise hat sich dadurch verändert: Es fällt leichter, projektbezogen zu arbeiten, einzelnen Projekten eigene Identitäten zu geben. Ich kann heute an einem Track arbeiten, der auf Dessous veröffentlicht wird, und morgen einen für Poker Flat produzieren.“
Revolutioniert hat Bug die Musikindustrie zwar nicht, indem er als Künstler zugleich sein eigener A & R und Marketingchef ist. Aber wenige spielen das Spiel mit vertauschten Rollen so perfekt wie der Bremer, der mittlerweile aufgrund seiner zahlreichen Engagements als DJ in Europa und in Übersee nur mehr schwer zu fassen ist. Für Bug, dessen erste Soloveröffentlichung „Mein Bug, Dein Bug“ 1995 noch auf Tobias Lampes legendärem Superstition-Label (Slogan: „Another antifascist record from superstion“) erschien, ist daher auch die Organisation der eigenen Kreativität der Schlüssel zum Erfolg: „Es gibt eine Grundregel: Man braucht eine Gruppe von Leuten, mit denen man auf längere Zeit bereit ist, zusammenzuarbeiten. Bei denen man das Gefühl hat, die haben Potenzial, mit denen kann man reden, und die haben auch selber so viele kreative Ideen, dass man auch in Zukunft mit ihnen rechnen muss und sie sich weiterentwickeln werden. Das ist genau die Arbeit, wie Major-Labels früher gearbeitet haben. Heute ist das anders: Die sehen nur die großen Verkaufszahlen und holen sich lieber einen Künstler, der gerade einen Hit hat, und quetschen den aus, als mit ihrem Künstler von gestern, der gestern einen Hit hatte, weiterzuarbeiten.“
In gewisser Weise haben die zusammenbrechenden Märkte Bug und seinen Unternehmungen zugespielt: In Zeiten, in denen die Einkäufer von Plattenläden dreimal überlegen, welche Alben sie in ihr Sortiment aufnehmen, profitieren Labels, deren Veröffentlichungen abseits des Mainstreams Nischen bedienen und dennoch eine berechenbare Politik fahren. Bug: „Ich ärgere mich jeden Tag über die Stapel von Vinyl, die ich von den Majors bekomme, von denen die Platten vom ersten bis zum letzten Track unhörbar sind. Da weine ich um das schöne Vinyl! Nicht nur das: Die verstopfen die Presswerke mit dem Dreck. Und wir müssen dann auf unsere Platten warten, die sich immerhin noch verkaufen.“
Steve Bugs drittes Soloalbum „Sensual“ besitzt im Gegensatz zu vielen anderen abendfüllenden House-Alben eine spannende Dramaturgie. Die Beats sind minimalistisch, der Rhythmus ist trotzdem funky. Hätte Bug mit Vocals gearbeitet und dunkleren, bassigeren Arrangements, wäre das Album vielleicht auf Dessous erschienen, das zum Teil die gleichen Künstler unter Vertrag hat wie Poker Flat, aber eben nur jeweils deren so genannte deepere Stücke veröffentlicht. So einfach die Geschäftspolitik erscheint, die hinter dieser Vorgehensweise steckt, so verblüffend ist das Ergebnis: Ein und dieselben Leute veröffentlichen unterschiedliche Stile auf den unterschiedlichen Labels. Auch wenn dabei der Glamour auf der Strecke bleibt, der vielleicht auf die Protagonisten abgestrahlt hätte, wenn sie mutig Stilbruch an Stilbruch gereiht hätten – Poker-Flat-Künstler wie Steve Bug, Martin Landsky oder Vincenzo haben ihren Gestaltungswillen in kanalisierte Bahnen gelenkt. Ihre Platten haben sie mit dieser Entscheidung zu effizienten DJ-Werkzeugen veredelt. Bug: „Man ist eine Zeit dabei, und in der Folge erwartet das Publikum von einem den Stil, an den es sich gewöhnt hat. Um nicht in diese Falle zu tappen, veröffentliche ich lieber unter vier verschiedenen Namen auf drei verschiedenen Labels fünf unterschiedliche Platten.“
taz lesen kann jede:r
Als Genossenschaft gehören wir unseren Leser:innen. Und unser Journalismus ist nicht nur 100 % konzernfrei, sondern auch kostenfrei zugänglich. Texte, die es nicht allen recht machen und Stimmen, die man woanders nicht hört – immer aus Überzeugung und hier auf taz.de ohne Paywall. Unsere Leser:innen müssen nichts bezahlen, wissen aber, dass guter, kritischer Journalismus nicht aus dem Nichts entsteht. Dafür sind wir sehr dankbar. Damit wir auch morgen noch unseren Journalismus machen können, brauchen wir mehr Unterstützung. Unser nächstes Ziel: 40.000 – und mit Ihrer Beteiligung können wir es schaffen. Setzen Sie ein Zeichen für die taz und für die Zukunft unseres Journalismus. Mit nur 5,- Euro sind Sie dabei! Jetzt unterstützen