Unchristliches Weltbild

Aus dem Ressort Soziales holt der Senat das Geld für alles andere: Frauen, HIV-Infizierte, Obdachlose und MigrantInnen sollen sich künftig selbst helfen

von SANDRA WILSDORFund HEIKE DIERBACH

Wer sagt, dass Sozialpolitik von sozial kommt, lebt nicht unter Schwarz-Schill. Denn hier kommt Sozialpolitik von Politik und bedient in erster Linie das eigene Weltbild. Das definiert vor allem, wer sich selbst helfen soll.

Frauen etwa kommen bei dem neuen Senat nur als Mütter vor, immerhin als berufstätige. Weshalb Sozialsenatorin Birgit Schnieber-Jastram (CDU) per Lippenbekenntnis für bessere Kinderbetreuung ist. Die Kehrseite: Der Senat spart an allem, was Frauen als Frauen fördert: Beratungsstellen, Träger, die speziell Frauen Arbeit oder Bildung bieten, aber auch Frauenhäuser und Junglesbenzentrum: Sie alle haben ein beispielloses Streichkonzert hinter sich. Die Sozialbehörde ist die Sparbehörde, aus der das Geld kommt für das, was dieser Senat für Innere Sicherheit hält.

Die Kürzungen haben Projekte an den Rand des Ruins gestoßen und einige darüber hinaus. Der Protest dagegen war und ist riesig – und weitgehend vergeblich. Zum Internationalen Frauentag am 8. März fanden sich 2000 Frauen zur Demo auf dem Rathausmarkt ein. Zehntausende sind in den vergangenen Monaten gegen den Sozialabbau auf die Straße gegangen.

Auch AIDS und Homosexualität passen dem Senat nicht ins Bild: Mit der gleichen abstrusen Begründung wie bei den Frauen – in der Welt von heute gibt es keine Diskriminierung mehr – kürzte der Senat auch bei schwullesbischen Projekten sowie der AIDS-Hilfe.

Schnieber-Jastram postuliert gleichzeitig eine Sozialpolitik, die denen helfe, die sich nicht selber helfen können. Der Haken: Wer das ist, definiert sie. Dass beispielsweise sich Obdachlosigkeit verfestigt hat, die Menschen immer ferner von dem System leben, von dem sie längst keine Hilfe mehr erwarten, passt ins Konzept: Schnieber-Jastram kürzt bei der Straßensozialarbeit. Denn wer nicht in die Einrichtungen kommt, der hat wohl schon Hilfe.

Sogar mit der Kirche hat es sich die christdemokratische Senatorin schon verdorben: Immer wieder kritisiert Landesbischöfin Maria Jepsen die Politik der sozialen Kälte. Und als Schnieber-Jastram bei der Hamburger Arbeit das Beschäftigungsprogramm „Tariflohn statt Sozialhilfe“ zugunsten des „Ein-Euro-Programms“ abschaffte, trat Landespastorin Annegrethe Stoltenberg aus Protest von ihrem Sitz im Aufsichtsrat zurück.

Eine weitere gesellschaftliche Gruppe, die sich nach Ansicht Schnieber-Jastrams selbst helfen soll, sind die MigrantInnen: Um 30 Prozent wurden die Zuwendungen an ihre Vereine gekürzt. Besonders betroffen waren die Träger von Sprachkursen und Berufsorientierung – während gleichzeitig Bürgermeister Ole von Beust in einer Runde mit Handels- und Handwerkskammer, Unternehmern und Gewerkschaften die Integration von MigrantInnen in den Arbeitsmarkt zur Chefsache erklärte.

Der echte Paradigmenwechsel aber war die überraschende Abschaffung der Ausländerbeauftragten des Senates, Ursula Neumann, zum Juli dieses Jahres. Auch hier hatte der Protest von MigrantInnenorganisationen, Kirche und auch von CDU- und FDP-Funktionären aus dem ganzen Bundesgebiet nichts bewirkt: Das bislang unabhängige Amt wurde ersetzt durch einen so genannten Integrationsbeirat mit rund 45 von Schnieber-Jastram handverlesenen Mitgliedern. Nicht dabei sind unter anderem der Rat der Islamischen Gemeinschaften (Schura), Flüchtlingsorganisationen oder AfrikanerInnen. Die Opposition und die Gewerkschaften verweigerten aus Protest die Mitarbeit.

Zudem sicherten sich die Regierungsparteien unter der Hand ein gutes Drittel der Plätze – zahlreiche „Vertreter“ von Initiativen sitzen gleichzeitig für CDU, FDP oder Schill-Partei in Bezirksparlamenten und Ausschüssen. Ohnehin ist der Beirat von der Sozialbehörde abhängig. Den Vorsitz übernimmt Schnieber-Jastram selbst, und ihre Sprecherin Anika Wichert macht die Vertretung gegenüber der Presse. Auch der Arbeitsstab ist Teil der Behörde.

Eben diese, und nur sie, soll der Beirat „kritisch beraten“ bei der Umsetzung des neuen Integrationskonzeptes. Dieses bleibt bislang allerdings sehr vage. Zusammen mit der Abschaffung der Ausländerbeauftragten hat Schnieber-Jastram so in der Hamburger Integrationspolitik ein Vakuum geschaffen. Sie setzt insofern den Koalitionsvertrag konsequent um: Auch darin werden MigrantInnen nicht erwähnt.

„Ausländerpolitik“, und zwar auf deren Kosten, macht derweil die Schill-Partei: Schill erhöhte die Abschiebezahlen und hetzte auf dem Parteitag im Mai, für Flüchtlinge werde der „im Schweiße unseres Angesichts verdiente Wohlstand verfrühstückt“. Der Abgeordnete Wolfgang Barth-Völkel, forderte medizinische Zwangsuntersuchungen aller Zuwanderer und gegebenenfalls deren Internierung. Im August wiederholte Schill seinen Angriff gegen AusländerInnen – als Senatsvertreter Hamburgs vor dem Deutschen Bundestag.