Zu grün für die Spitze

Werder Bremen leistet sich mit dem 1:4 gegen Borussia Dortmund einen Fehlstart in seine Woche der Wahrheit, begräbt unrealistische Ambitionen und stellt klar: Der Bayernjäger kommt aus dem Pott

aus Bremen JOCHEN GRABLER

Die alten grün-weißen Hasen hatten es geahnt: „Oh, oh“, meinte Willi Lemke auf dem Weg zum Weserstadion, und die hohe Senatorenstirn legte sich in schwere Sorgenfalten, „oh oh, wenn das 1:1 ausgeht, können wir glücklich sein. So gut sind wir noch nicht.“ Der ehemalige Werder-Manager und jetzige Bildungssenator sollte recht behalten. Knappe zwei Stündchen später hatten seine Grün-Weißen das Spiel gegen den Meister aus Dortmund tatsächlich vergeigt. Und zwar reichlich deutlich. 1:4 im eigenen Stadion, das tut weh.

Nun jagen die Dortmunder ganz allein die Bayern. Und Krisztian Lisztes fand hernach, Werder stecke schon „ein bisschen in der Krise“. So gut sich die Bremer über lange Phasen des Spiels immer wieder bis an den Dortmunder Strafraum herankombiniert, so viele Chancen sie sich erarbeitet haben mochten – am Ende zeigte sich der wesentliche Unterschied zwischen einer guten und einer besseren Mannschaft: Die bessere macht einfach weniger dämliche Fehler.

So einen zum Beispiel: Keine zwei Minuten war das Spitzenspiel alt, als Werder im Mittelfeld den Ball eroberte und einen Gegenzug einleiten wollte – dummerweise just über die Seite, die BVB-mäßig am meisten bevölkert war. Ein Pressschlag mit Rosicky, Evanilson hat freie Bahn, überlobbt die Bremer Defensivkräfte, und hinten steht Frings mutterseelenallein und donnert prompt ein. Mal abgesehen von „Ausgerechnet Frings“, Schaafs Ziehsohn, Ex-Bremer in alter Heimat, was für ein Start undsoweiter ... die Szene war symptomatisch. „Wir kontrollieren das Geschehen, und dann spielen wir den Ball einfach so zum Gegner“, analysierte hernach der gequält dreinschauende Werder-Trainer Thomas Schaaf. So war’s.

Gut siebzig Minuten kickten seine Bremer durchaus ansehnlich, erzielten durch einen Sonntagsschuss von Ernst den Ausgleich, waren in der ersten Halbzeit ein ebenbürtiger Gegner, lieferten gemeinsam mit dem BVB ein echtes und schwer unterhaltsames Spitzenspiel mit reichlich Chancen hüben wie drüben, mit schönen Spielzügen, waren manches Mal derart giftig bei den Zweikämpfen, dass der eher kleinkariert pfeifende Schiri Merk seine liebe Mühe hatte, spielten über größere Strecken der zweiten Halbzeit den Meister derart an die Wand, dass der 25 Minuten lang zu null Angriffen kam. Aber dann …

Dann waren sie nämlich wieder da, diese dämlichen Momente. Der Fehler: Verlaat kickt den Ball unmotiviert in die Füße von Kehl. Der lange Pass: Kehl schickt den eingewechselten Ricken. Die Flanke zum freien Mann: Dede lauert im Rücken der Bremer Abwehr. Das Tor: Dede wummert unhaltbar ins linke Eck. 2:1 für den BVB. „Das war unser erster vernünftiger Angriff in der zweiten Halbzeit“, meinte Gästetrainer Sammer. Und der wurde durch einen Bremer eingeleitet.

Dass sich danach die frustrierten Gastgeber gegen die dräuende Niederlage stemmten, noch zweimal nach alt bewährtem Muster ausgekontert wurden und ob der Sinnlosigkeit ihres Tuns und Strebens die Köpfe doch recht hängen ließen – man kennt derlei Geschichten. Nur dass die vom Samstag noch einen echten Helden hatte. Und der hieß Ewerthon. Der hatte zunächst auf der Bank Platz nehmen müssen, weil Superstar Amoroso zum ersten Mal von Anfang an spielen durfte. Amoroso vergab eine klare Chance und war ansonsten nicht zu sehen. Also durfte ab Minute 74 besagter Ewerthon ran – um in Minute 74 auch gleich das 1:3 zu schießen. Gut zehn Minuten später durfte er zwischen Verlaat und Borowski durchspazieren, einen Sonntagsschuss ansetzen. 1:4, und Feierabend.

So bemüht und mutmaßlich überlegen die Bremer auch gewesen sein mochten – letztlich zahlte sich die tatsächliche Überlegenheit des BVB in den entscheidenden Disziplinen des Fußballspiels aus: Die Dortmunder standen sicherer in der Defensive, nutzten ihre Torchancen effektiver und machten vor allem weniger haarsträubende Fehler in der Spieleröffnung.

Am Donnerstag spielen die Bremer im Uefa-Cup in Arnheim, am Sonntag gegen die Bayern – die Woche der Wahrheit sollte es werden für den SV Werder Bremen. Wenn die so weitergeht, dann wird diese Wahrheit ziemlich bitter, wenigstens für die Fans. Denn die alten Hasen hatten’s eh geahnt. „Uns fehlt die unbedingte Entschlossenheit“, ärgerte sich Schaaf. „Man sieht, wir müssen noch ne Menge lernen“, assistierte Sportdirektor Allofs. „Wir sind noch nicht soweit“, hatte Willi Lemke gesagt. Da haben sie wohl Recht.

Werder Bremen: Borel - Baumann (83. Borowski), Verlaat, Krstajic - Stalteri, Ernst (77. Klasnic), Skripnik - Lisztes, Micoud - Ailton, CharisteasBorussia Dortmund: Lehmann - Evanilson, Wörns, Metzelder, Dede (83. Madouni) - Reuter, Kehl, Frings - Rosicky (68. Ricken) - Koller, Amoroso (72. Ewerthon)Zuschauer: 40.000; Tore: 0:1 Frings (2.), 1:1 Ernst (35.), 1:2 Dede (71.), 1:3 Ewerthon (74.), 1:4 Ewerthon (85.)