Knigge für die Unternehmer

Corporate Governance Kodex: Vorstände sollen künftig ihre Gehälter offen legen. Abweichungen sind publikationspflichtig. Aktionärsschützer kritisieren allerdings einige Widersprüche im Kodex

Mit der Veröffentlichung im Bundesanzeiger Ende August ist der so genannte Corporate Governance Kodex zum verbindlichen „Knigge“ für die Unternehmensführung in Deutschland geworden. Er verdeutlicht die Rechte der Aktionäre börsennotierter Gesellschaften, regelt das Zusammenwirken von Vorstand und Aufsichtsrat und setzt Standards für die Transparenz von Unternehmen. Unter anderem sieht er vor, dass die Vorstände, Aufsichtsratsmitglieder und Wirtschaftsprüfer von Aktiengesellschaften unabhängig sein sollen und die Interessenkonflikte, in denen sie stecken, offen legen. Die Vorstände dürfen bei ihren Entscheidungen keine persönlichen Interessen verfolgen. Interessenkonflikte sind „unverzüglich“ gegenüber Vorstand und Aufsichtsrat offen zu legen. Aufsichtsräte, so der Kodex, sollen nicht mehr als fünf Mandate bekleiden dürfen und keine Beratungsfunktion bei Wettbewerbern ausüben.

Sabine Richter von der Deutschen Schutzvereinigung Wertpapierhandel e. V. (DSW) in Düsseldorf sieht mit dem Kodex verstärkte Transparenz aufziehen. „Die Offenheit gewinnt nicht zuletzt in der Post-Enron-Phase eine besondere Bedeutung“, meint Richter. Wirtschaftsprüfer zum Beispiel müssten künftig vor ihrer Wahl durch die Hauptversammlung eine Unabhängigkeitserklärung abgeben. Und über das Transparenz- und Publizitätsgesetz bleibe der Kodex nicht nur ein soft law, eine freiwillige Regelung für die Unternehmen. Das Gesetz verpflichte sie vielmehr, sich zu Abweichungen vom Kodex zu äußern und diese zu begründen. Die Veröffentlichung werde die entsprechenden Fragen von Aktionären und der Öffentlichkeit nach sich ziehen – und damit auch entsprechende Sanktionen, hofft die Anlegerschützerin.

Maritta Strasser, Sprecherin des Bundesjustizministeriums, erläutert den Hebel, den der Kodex bietet: Wenn sie die Abweichungen vom Kodex in ihrem Unternehmen nicht publizierten, begingen Vorstand und Aufsichtsrat Pflichtverletzungen, an die Schadenersatzansprüche geknüpft werden könnten. „Die Abgabe der Pflichterklärung muss vom Abschlussprüfer geprüft werden. Fehlende Abgabe oder offensichtlich falsche Abgabe sind vom Prüfer im Bericht zu vermerken und können zu Einschränkungen des Testats führen“, so Strasser.

Werden sich die Unternehmen also an den Kodex halten? Die Sprecherin des Justizministeriums meint, ihrem Eindruck nach würden alle Gesellschaften die Erklärung „insgesamt positiv“ abgeben, also gar nicht erst gegen den Kodex verstoßen. „Einige werden sogar noch weiter gehende firmeneigene Corporate Governance Kodizes formulieren“, sagt Strasser.

Bislang sind erst wenige Lenker der großen Unternehmen mit Erklärungen zu Inhalten an die Öffentlichkeit getreten, die der Kodex verlangt: Als erster unter den Chefs der 30 größten Konzerne des DAX hat Schering-Boss Hubertus Erlen seinen Jahresverdienst 2001 offen gelegt: 2,66 Millionen Euro hatte er kassiert, wie Focus Money berichtet. Auch der Vorstand der ThyssenKrupp AG in Düsseldorf hat beschlossen, seine Gehälter individualisiert offen zu legen: im Geschäftsbericht für das Jahr 2001/2002, der im Dezember erscheint. Der Trend in Europa gehe eindeutig in Richtung individueller Veröffentlichung von Vorstandsgehältern, so Sabine Richter von der Schutzvereinigung Wertpapierbesitz. Über kurz oder lang werde das auch in Deutschland der Fall sein.

Im Bereich der nachhaltigen Aktien beispielsweise ist die Aixtron AG aus Aachen, nachhaltig wirtschaftender Halbleitermaterial-Hersteller, Mitte September mit einem eigenen aktualisierten Kodex an die Öffentlichkeit getreten, der die Bekanntgabe der Vergütung des Vorstands im Anhang des Konzernabschlusses vorsieht – separat dargestellt nach „Fixum“, „erfolgsbezogenen Komponenten“ und solchen mit „langfristiger Anreizwirkung“.

Die Vertreterin des DSW rügt allerdings Widersprüche im Kodex, zum Beispiel zu dem Gesetz, das die Übernahme von Unternehmen regelt. Die Aktionärsschützer halten hier die Neutralitätspflicht des Vorstands für revisionsbedürftig: „Wir hätten gern gesehen, dass allein die Aktionäre und nicht der Vorstand entscheiden, ob ein Übernahmeangebot akzeptabel ist.“ Derzeit dürften die Aktionäre nur in „angezeigten Fällen“ mit entscheiden, ob Gegenmaßnahmen eingeleitet werden. Problematisch sei vor allem eine Definition des Begriffs „angezeigte Fälle“.

Weitere Kritik: Das Thema Mitbestimmung, insbesondere die Verkleinerung und Internationalisierung des Aufsichtsrats, werde im Kodex nicht aufgegriffen. „Die Aufsichtsräte sind deutlich zu groß. Das Manko kann durch eine vernünftige Ausschusstätigkeit und regelmäßige institutionalisierte Vorgespräche zwischen Anteilseignern und Arbeitnehmern mit dem Vorstand ausgeglichen werden“, schlägt die Schutzvereinigung vor. Zudem sei eine Mehrheit unabhängiger Aktionärsvertreter im Aufsichtsrat anzustreben. „Je höher der Anteil der freien Aktionäre beziehungsweise des Streubesitzes, desto eher sollten unabhängige Aktionärsvertreter in den Aufsichtsräten vertreten sein“, argumentiert Richter.

Die Sprecherin des Justizministeriums verweist in Sachen Mitbestimmung auf die Präambel des Kodex, die Bezug nimmt auf das duale Führungssystem in Deutschland. Danach setzt sich der Aufsichtsrat in Unternehmen mit mehr als 500 Beschäftigten im Inland zu einem Drittel, bei großen Unternehmen zur Hälfte aus Vertretern der Arbeitnehmer zusammen. Die Vertreter von Aktionärsinteressen haben in der von der Regierung ernannten Kommission, die den Kodex ausarbeitet, bislang offenbar Schlimmeres verhindert. Die Zeitschrift Capital hat ein internes Papier veröffentlicht, das die Thesen einiger Kommissionsmitglieder – genannt werden Paul Achleitner (Allianz), Wendelin Wiedeking (Porsche) und Rolf E. Breuer (Deutsche Bank) – wiedergibt: Danach sollen Konzerne mit Sitz in Deutschland das Recht erhalten, Arbeitnehmer aus dem Aufsichtsrat zu verbannen und stattdessen einen „Weltbetriebsrat“ einzurichten, Hauptversammlungen dürften höchstens drei Stunden dauern, die Entlastung von Vorstand und Aufsichtsrat auf der HV würde abgeschafft. VOLKER UPHOFF/

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