Tödliches Tabu

Therapiezentrum für Suizidgefährdete will „...darüber reden“ und lädt deshalb zur Kulturwoche: In Kino, Theater, Kirche und Universität geht es in 28 Veranstaltungen um das Thema Selbstmord. Experten warnen vor „kollektiver Verdrängung“

von SANDRA WILSDORF

„Wohl jeder von uns hat in seinem Umfeld schon mal mit dem Thema Suizid zu tun gehabt und dabei auch erfahren, dass darüber nicht groß geredet wurde“, sagt Professor Paul Götze, Leiter des Therapiezentrums für Suizidgefährdete (TZS). Das Thema unterliege in unserem christlichen Kulturkreis „der kollektiven Verdrängung“. In England sei ein Suizidversuch sogar noch bis 1961 strafbar gewesen. Eine Folge des Schweigens: „Obwohl mehr Menschen durch Selbsttötung sterben als durch Autounfälle, Drogen, Gewalt und AIDS zusammen, geht die Suizid-Prävention gegen Null“, klagt Götze.

Das am Universitätsklinikum Hamburg-Eppendorf (UKE) angesiedelte TZS will deshalb das Tabu brechen: „... darüber reden“ ist vom 2. bis 12. November das Motto einer „Kulturwoche Suizidalität“, die sich in 28 Veranstaltungen in Theater, Kino, Museum, Kirche und Universität dem Thema nähert. Bei der ersten Kulturwoche im vergangenen Jahr war die Resonanz überraschend groß gewesen. Nach vielen Aufführungen entwickelten sich Gespräche, die länger dauerten als Lesung, Stück oder Film selbst. „Manche haben über Dinge gesprochen, die sie selbst mit ihren Freunden noch nicht beredet haben“, sagt Organisator Georg Fiedler vom TZS.

Als Schirmherren haben die Veranstalter in diesem Jahr Bürgermeister Ole von Beust (CDU) gewonnen. „Damit hat zum ersten Mal ein Ministerpräsident auf diese Weise anerkannt, dass Suizid ein gesellschaftliches Problem ist“, sagt Fiedler. Sonst tue sich die Politik mit dem Thema eher schwer.

Die Kulturwoche beginnt Sonnabend im Ernst Deutsch Theater mit einer szenischen Lesung: „Weil immer das Meer vor der Liebe ist“ – für und nach Herta Kräftner, einer Philosophin, die sich mit 23 Jahren tötete. Im Museum für Kunst und Gewerbe geht es am 4. November um „Selbstmord als Thema der bildenden Kunst“. Das Abaton Kino zeigt verschiedene Filme zum Thema, unter anderem am Sonnabendvormittag „Die Unberührbare“ über die letzten Lebensjahre der Schriftstellerin Gisela Elsner, die 1992 Selbstmord beging. Ihre Geschichte erzählt ihr Sohn Oskar.

Die Arbeitsstelle für feministische Literaturwissenschaft der Universität lädt zu einer ganzen eigenen Reihe: In „Ein Denken, das zum Sterben führt“ geht es um psychoanalytische Betrachtungen von Kleists Penthesilea sowie um Selbstmordattentate. Auch die St. Johannis-Kirche in Harvestehude beteiligt sich: Am 7. November spricht beispielsweise Professor Matthias Kettner zur Philosophie des Selbstmords, begleitet von musikalischen Improvisationen. Im Thalia in der Gaußstraße, im Lichthof-Theater im alten Gaswerk und im Malersaal des Schauspielhauses laufen drei Ein-Frauenstücke zum Thema: „Morisson Hotel“ und „Einmal lebt ich“ von Gilla Cremer sowie „4.48 Psychose“ von Sarah Kane.

Das vollständige Programm gibt es unter www.forlife.de, jeweils zum Tage im Veranstaltungskalender der taz hamburg, und in vielen Arztpraxen, Apotheken und Buchläden