Sag Ja mit der Peitsche

Christoph Marthaler bleibt bis 2004 Direktor des Zürcher Schauspielhauses. Doch die Animositäten und Strukturprobleme bestehen fort

Man kann nicht nicht spielen. Schon gar nicht im Theater. Im Foyer des Zürcher Schauspielhauses traten am Montag zwei Verwaltungsräte, der künstlerische Direktor Christoph Marthaler und der kaufmännische Direktor Andreas Spillmann, vor die Medien. Eigentlich sollten sie ein positives Ergebnis bekannt geben: Christoph Marthaler kann vorerst eine weitere, eine vierte Spielzeit bis 2004 in Zürich bleiben. Es gibt ein Maßnahmenpaket, das für die nächste Saison intern knapp zwei Millionen Schweizer Franken einsparen will. Der Kanton steuert noch einmal zwei Millionen für die städtische Institution bei, um das budgetierte Loch von vier Millionen zu stopfen. Den Fünfjahresvertrag erfüllen kann Marthaler aber nur, wenn die Zuschauerzahlen bis zum Frühjar dramatisch steigen – in einer sparbedingten Rumpfspielzeit notabene. Das Spiel vor Ort – die Mienen, die Körper, die Dramaturgie – verhieß nichts Gutes.

Der international renommierte Zürcher Theaterkünstler mit einem Zuschauerproblem saß am linken Rand wie ein begossener Pudel. Und der Verwaltungsratspräsident Peter Nobel blickte streng finster. Man kann sich nicht mehr riechen, so viel ist klar: Die „Einigung“ kam tatsächlich in letzter Minute zustande. Peter Nobel wollte nicht, so geht ein Raunen. Stadtpräsident und Verwaltungsratsmitglied Elmar Ledergerber wollte, musste. Letzterer fürchtet zu Recht den Niedergang einer Immobilie mehr als die finanziell riskante Stützung der Direktion.

Die Konsequenz, hätte man Marthalers Kündigung nicht zurückgezogen: keine Leitung von Ruf fürs nächste Jahr, Gastspiele im angestammten Pfauentheater und die Quasischließung des neuen Schiffbau-Komplexes, allenfalls Vermietungen. Nicht auszudenken, was das gekostet hätte. Folglich wurde das Ja mit der Power-Point-Peitsche verkündet: Mehr als die Hälfte der Zeit verwendeten der Verwaltungsrat und der kaufmännische Direktor darauf, die bekannten Zahlen abermals grafisch aufzubereiten und Marthaler als unfähigen Ökonomen abzustrafen. Kein Wort zu den vorhersehbaren strukturellen Problemen mit dem bei Marthalers Amtsantritt erweiterten Platzangebot auf drei Bühnen. Kein Wort zur künstlerischen Leistung. Nur olle Kamellen, die inhaltlich zu kontern niemand mehr die Energie aufbringt nach den journalistischen Gebetsmühlen der letzten Monate. Nach der Volksabstimmung im Juni, nach der Kündigung Anfang September. Müdigkeit macht sich breit.

Müde ist auch der Wirtschaftsanwalt und Exlinke Peter Nobel. Zusammen mit drei weiteren Verwaltungsratsmitgliedern verlässt er das Gremium Ende Januar 2003. Bei der Pressekonferenz zeigte er sich stur, gab den enttäuschten Liebhaber. Immerhin: Diese Wut ist lesbar. Stadtpräsident Ledergerber gab derweil den umsichtigen Kommunikationsprofi. Obwohl: Er hat die Direktion Marthaler aufgegeben. Die widerrufene Kündigung ist reine Schadensbegrenzung.

TOBI MÜLLER