schnittplatz
: Zeitungsdämmerung

Es sind bizzare Zeiten: Da steht eine Branche, über die der Medienexperte Horst Röper einst das Bonmot prägte, nur Drogendealer könnten noch höhere Renditen einfahren, angeblich vor dem Ruin.

 Die Zeitungsverlage klagen, was das Zeug hält. Bei den überregionalen Titeln wird Weltuntergangsstimmung gesät, Durchhalteparolen sind ausgegeben, „Sonderopfer“ an der Tagesordnung.

 Während Normalredakteure also auf Zusatzleistungen verzichten und Sozialpunkte sammeln, um von Kündigungslisten wieder herunterzukommen, versuchen die Chefetagen auf ihre Weise, die Krise als Chance zu nutzen. Mit durchschlagender Wirkung.

 Da will Welt-Chefredakteur Wolfram Weimer den künftigen starken Mann im FAZ-Aufsichtsrat, Wolfgang Bernhardt, besuchen – zum „wirklich harmlosen Kennenlern-Termin“ (Weimer) natürlich. Und nur weil der Branchendienst Platow Brief schreibt, der umtriebige Weimer sei in Wirklichkeit da, um sich als künftiger Allein-Chefredakteur der Zeitung für Deutschland zu empfehlen, entspinnt sich das schönste Dementikarussell seit dem Rauswurf des FAZ-Herausgebers Hugo Müller-Vogg.

 Bernhardt fühlt sich vorgeführt, sagt den von Weimers Sekretärin „am 15. Oktober 2002 (um 16.20 Uhr)“ erbetenen Termin ab. Und muss per Presseerklärung dementieren, was in der Gerüchteküche seit Monaten schwelt: dass er spätestens bei Übernahme des Aufsichtsratsvorsitzes zum Jahreswechsel das FAZ-Herausgebermodell, bei dem der Herrenklub gleichzeitig als kollektive Chefredaktion fungiert, zur Disposition stellen will.

 In Berlin tritt derweil der stellvertretende Welt-Chefredakteur Carl Graf Hohenthal vor die Morgenkonferenz und verkündet sinngemäß: „Alles Quatsch!“ – Viel Aufwand für eine angeblich frei erfundene Platow-Geschichte.

 Die auch noch ein höchst öffentliches Nachspiel hat: Der desavouiert-ausgeladene Kennenlerner Weimer beschreibt dem „sehr geehrten Herrn Professor Bernhardt“ am Tag danach „mit gedämpft freundlichen Grüßen“ seine Irritation und Verärgerung ob dieser „absurden Spekulation“. Macht die Schuldigen in Frankfurt aus („Die Entmachtungsphantasien einiger Herausgeber und ihre Furcht vor Sanierern entlarven sich selbst“) und tritt übellaunig nach: „Wir sind beim Springer-Verlag mit der inneren Konsolidierung offensichtlich schon einige Schritte weiter“, schreibt Weimer: „Wie schwierig Ihre Aufgabe in Frankfurt wird, kann ich erst jetzt richtig ermessen.“ – Dabei hatte der Springer-Mann doch laut Süddeutscher Zeitung eben noch einer FAZ-Mitarbeiterin in den Block diktiert, „in diesen Zeiten müssten die großen Verlage zusammenhalten“.

 Doch nicht nur in Berlin keine Spur von Krisenmanagement: Gestern hielt der „designierte Aufsichtsratsvorsitzende“ Bernhardt per Interview im eigenen Blatt seine „Blut, Schweiß und Tränen“-Rede. Die längst beschlossene Einstellung aller FAZ-Businessradios, Online-Entlassungen und der langfristige Verkauf der Buchverlage werden da zur „Verabschiedung von Randbereichen“. – Die betroffenen Mitarbeiter werden’s gerne gelesen haben.

 Das Herausgeberstatut bekommt Bewährung, der Konflikt auch. „Manchmal gilt eben: Viel Feind, viel Ehr.“ Nur „auf falsche Freunde von außen“ will Bernhardt verzichten – wen er da bloß meint?

 Nun herrscht nicht nur in Frankfurt und Berlin die Lust am Untergang: In München, beim Süddeutschen Verlag (SV), blockieren die fünf mit sich und dem Blatt überworfenen Inhaberfamilien dringend notwenige Sanierungsmaßnahmen. „Auf Grund des Gesellschafterstreits ist inzwischen selbst für Verlagsmanager unklar, wer eigentlich im Unternehmen das Sagen hat“, konstatiert die FTD. Dabei ist auch hier der Ausstieg aus „Randbereichen“ wie zum Beispiel Teilen der Fachverlagsgruppe des SV längst vorbereitet. 100 Millionen Euro fehlen mindestens, einstiegswillige Großverlage wie die WAZ-Gruppe und Holtzbrinck stehen bereit. Doch die Gesellschafter sind mit sich beschäftigt, von den Auswirkungen auf Blatt und Redaktion redet ohnehin niemand.

 Nun schmückt ebendiese Süddeutsche nicht nur die Berichte zur FAZ-Krise routinemäßig mit Filmtiteln („Apocalypse Now“, „Rauchende Colts“). Und so bleibt immerhin die Erkenntnis: Denn sie wissen nicht, was sie tun. STG