Am Morgen nach der Party

Die New Economy ist nicht tot. 1.000 Arbeitsplätze in der deutschen Informationswirtschaft sind unbesetzt. Nur ist die Arbeit nicht mehr so lustig wie früher und das Geld nicht mehr so flüssig

von VERENA DAUERER

Auch die zweite Welle blieb aus. Der Bundesverband Informationswirtschaft, Telekommunikation und neue Medien e. V. (Bitcom) hat seine Wachstumserwartungen für das laufende Jahr von 6,6 Prozent auf knapp unter 2 Prozent heruntergeschraubt: 28.000 Arbeitsplätze fallen weg. Allerdings hat derselbe Verband der Bundesregierung ein Notprogramm mit 10 Punkten vorgelgt, wonach in seiner Branche 1.000 Stellen unbesetzt sind. Und Menno Harms, Aufsichtsratsvorsitzender bei Hewlett-Packard Deutschland, rechnet vor: „Wir verlieren zwar jeden Monat so um die 40 bis 60 Jungunternehmen. Wir reden aber nicht von den über 10.000 nach wie vor erfolgreichen Start-ups mit 100.000 Mitarbeitern.“

Start-up? Das Unwort ist eingemottet wie die letzte Winterkollektion. Übrig blieben nur die Menschen, die dabei waren, als der Marsch durch die Dotcoms begann. „No risk, no fun“, bekommt man überall zu hören, ein überzeugter Start-upper möchte dennoch niemand mehr sein. Das dafür typische Verwechseln von Party und Arbeit wirkt heute allzu peinlich. Markus zum Beispiel, heute 32, war irgendwie beim Berliner Jugendportal Kindercampus.de als Onlineredakteur gelandet. Das ging bis Frühjahr 2001 ganz gut, jetzt ist froh, bei der Stiftung Warentest „was Geregeltes“ zu haben: „Am Anfang war die Party. Wir standen dauernd draußen und haben getrunken und gefeiert. Nach drei weiteren Start-ups war das nur noch bitter, weil mir ständig der ökonomische Rückhalt weggebrochen ist.“

Jugendschulden

Allein fühlte sich Markus in Berlin nicht. „Hier machen sich alle ständig Sorgen darüber, wo das Geld herkommt.“ Auch dass er sich selbst „nicht so über Arbeit definert“, ist nicht ungewöhnlich in dieser Stadt. Nur älter ist er geworden: „Die New Economy war eine Jugendkultur, keine Frage. Aber auch der hippste Mensch wird, hat er die 30 überschritten, merken, dass er Sicherheiten braucht. Für das tolle Gefühl, mit tollen, jungen Menschen zusammenzuarbeiten, kann man sich nichts kaufen.“

Aber ungemein wichtig kann man sich fühlen: Daniela, 39, schwärmt von dem Gefühl, „wenn man von Flughafen zu Flughafen sprintet, von Messe zu Messe und auf den wichtigen Partys ist“. Tatsächlich war für die ehemalige „Content-Managerin“ beim Hamburger Ableger der amerikanischen Suchmaschine Altavista.de die Arbeit das Wichtigste. „Ich würde mich als Workaholic bezeichnen zu der Zeit. Euphorisch war man, wenn man eine Aufgabe hatte“, sagt sie. Ende 2000 hatte sie keine mehr, dafür Schulden: „Ich habe sehr viel damals verdient, dann mit Aktien am Neuen Markt viele Schulden gemacht und sicher 50.000 Euro in den Sand gesetzt. Jetzt habe ich noch mehr Schulden beim Finanzamt, an denen ich noch ein paar Jahre nagen werde.“

Echtes Spielgeld

Daniela ist in das Leben zurückgekehrt, das sie nur kurze Zeit verlassen hatte. Sie hat ihr Studium abgeschlossen, geheiratet und ist im achten Monat schwanger. Die Aktien, mit denen sich Klaus, 34, verschuldet hat, sind zwar am alten Markt notiert, aber auch dort nicht mehr viel wert. Noch 1999 hatte er mit dem Einrichten des Redaktionssystems bei Springer in Hamburg „richtig viel“ verdient. Dann wurde er Grafiker beim Spieleportal Gamechannel.de, abends hielt er Softwareschulungen ab, Ende desselben Jahres übernahm er den stolzen Job eines „Game-Developpers“ in einer Berliner Firma; vor wenigen Monaten kam das Ende auch hier: „Jetzt bin ich schlechter abgesichert als ein Arbeitsloser, ich bin existenziell unten und weiß nicht, wie ich die nächste Miete zahlen soll.“ Er hat sich eine kleiner Wohnung gesucht, ist froh, wenn er mal ein paar „Webseiten designen“ darf, und beklagt, dass ihm bei alledem seine Familie „nicht das Gefühl gibt, dass sie das duldet und dass sie mich unterstützt“.

Stehaufmännchen

Holger, 35, ist robuster. „Man gewöhnt sich halt daran, ständig wo neu anzufangen“, findet er. Fröhlich hat er einige Entwicklungsredaktionen von PC- und Internetmagazinen durchwandert, „die alle eingestellt wurden, nicht mal mehr erschienen sind“. Und das dreimal in drei Jahren: „Man muss sich klar machen, dass es nicht an deiner Person liegt, sondern an einer Verlagsentscheidung.“

Und einsam fühlt auch er sich nicht: „Es hat die Branche erfasst, deswegen bist du nicht allein. Es ist kein Einzelschicksal – wir treffen uns regelmäßig, und deshalb ist das nicht mehr so tragisch.“

Anfang des Jahres hat er sich mit einem Partner für die Selbstständigkeit entschieden und hat ein Büro in der Hamburger Gründerwerft bezogen. Und sagt: „Die Zeiten in der Branche sind schlecht, aber ich mach weiter.“

vdauerer@t-online.de