Kassieren und absaugen

Was passiert eigentlich mit Menschen, die Sozial- oder Arbeitslosenhilfe beziehen und nebenbei arbeiten? Sie müssen mit harten Strafen rechen: Zwei sehr unterschiedliche Fälle

von SANDRA WILSDORF

Sie werden „Sozialschmarotzer“ und „Schnorrer“ genannt, und die Gesellschaft redet über sie, als wären sie richtig viele. Aber was passiert eigentlich mit Menschen, die zu Unrecht oder in unberechtigter Höhe Sozial- oder Arbeitslosenhilfe bezogen haben? In zwei sehr unterschiedlichen Fällen verurteilten Richter in dieser Woche drei Menschen zu Freiheitsstrafen von elf bis zwölf Monaten. Die „Täter“ sind nun vorbestraft, sie müssen Prozesskosten tragen und zurückzahlen, was sie unberechtigterweise vom Staat kassiert haben.

Fall Nummer 1: Er könnte den Arzt in einer Vorabendserie abgeben. Groß, schlank, Haare gerade lang genug, um sich auf lässig legen zu lassen und ganz in schwarz gekleidet. Der 39-Jährige, der sich auf der Anklagebank vor dem Altonaer Amtsgericht am Mittwochmorgen nervös die langen Finger knetet, ist tatsächlich Arzt. Ein Doppeldoktor der Zahn- und der Inneren Medizin.

Der 39-Jährige kassierte 2000 mindestens sechs Monate lang Arbeitslosenhilfe, obwohl er – recht lukrativ – Verschönerungsbedürftigen Fett absaugte und Haare verpflanzte. Insgesamt hat er so über 24.000 Mark kassiert, die ihm nicht zustanden.

Über seine Verhältnisse lebte der Mediziner schon länger: Als er 1996 seinen Vierjahresvertrag als Arzt im Bundeswehrkrankenhaus antrat, freundete er sich schnell mit einer Krankenschwester an. Schon bald erzählte er ihr, er würde von ehemaligen Patienten erpresst, weshalb sie ihm dringend Geld leihen müsse. Sie half ihm, einmal, zweimal, viele Male – mit ein paar Hundertern und am Ende sogar mit ihrer Sparkassenkarte. Die wollte er nur für einen Nachmittag, doch daraus wurden Wochen. Mal hob er 350, mal 700, meistens aber 1000 Mark ab, manchmal täglich. Sie merkte das erst, als die Sparkasse anfragte, warum sie 10.000 Mark Minus auf dem Konto habe.

Inzwischen ist der Mann längst eine Beziehung und einen kleinen Sohn weiter: Die Frau von damals hat ihn angezeigt, er wurde wegen Betruges zu acht Monaten Freiheitsstrafe verurteilt – die Strafe wurde zur Bewährung bis 2003 ausgesetzt. Doch dem Doppeldoktor war das keine Warnung – wenige Monate später lief sein Vertrag bei der Bundeswehr aus. Die monatlich etwa 2200 Mark Arbeitslosenhilfe reichten ihm nicht. Er operierte auf Honorarbasis für private Schönheitskliniken in Hamburg und in den Niederlanden und verdiente damit in guten Monaten bis zu 12.000 Mark dazu – soviel lässt sich zumindest anhand der Belege nachweisen. Irgendwann bekamdas Arbeitsamt Wind von der Sache, fordert das Geld zurück. Der Arzt widersprach, er „lebe in bescheidenen Verhältnissen, mit denen er auch noch seine kleine Familie zu versorgen habe“.

Seit dem vergangenen Sommer hat der Arzt nun eine Praxis, wegen der Vorstrafe hatte er keine Anstellung gefunden. Während des Prozesses ergibt sich: Insgesamt hat er um die 180.000 Mark Schulden, ist bei der Diakonie in der Schuldnerberatung. Bruder und Mutter haben ihm einen Kredit versprochen, damit er wenigstens die Schulden an das Arbeitsamt schnell zurückzahlen kann. Der Mediziner fürchtet, die Ärztekammer könne ihm die Zulassung entziehen.

Warum er einen Tagessatz von bis zu 1000 Mark braucht, das fragt der Richter nicht. Er entscheidet: Elf Monate auf Bewährung – im Interesse der bestehenden Gläubiger und in der Hoffnung, dass es kein zukünftigen geben wird.

Fall Nummer 2: Vor dem Harburger Amtsgericht gaben gestern zwei Ex-Eheleute einander die Schuld daran, dass sie Sozialhilfe bezogen und nebenbei verdienten. Über einen Zeitraum von zwei Jahren ist so ein Schaden von etwa 43.000 Mark entstanden: Inzwischen sind sie geschieden, gestern wechselten sie weder Wort noch Blick.

Als das Sozialamt den Mann in das Programm „Hilfe zur Arbeit“ aufnehmen will, stellt der Sachbearbeiter fest: „Der Mann arbeitet ja.“ Bei der Bahnreinigung verdient er etwa 3000 Mark netto. „Ich habe von dem Geld nichts gesehen, das hat er an seine Kinder in die Türkei geschickt“, erklärt die Frau, weshalb sie weiter auf Sozialhilfe angewiesen war. Scheibchenweise kommt heraus: Sie hat sich als Putzfrau etwas dazuverdient. „Drei Stunden täglich“, sagt sie, „morgens und abends je vier Stunden“, sagt er über sie. Und er behauptet, sie zum Sozialamt geschickt zu haben, Bescheid sagen, dass er Arbeit habe. Sie habe das wohl nicht gemacht.

Der Richter zweifelt: „Sie haben beide nur die halbe Wahrheit erzählt. Und es ist klar, dass es sich hier um einen groben Fall von Sozialhilfebetrug handelt.“ Er verurteilt die Ex-Eheleute zu jeweils einem Jahr Freiheitsstrafe – ausgesetzt zur Bewährung und mahnt: „Was sie gemacht haben, bringt alle ehrlichen Sozialhilfeempfänger in Misskredit. Sie sind die, die denen Nahrung geben, die öffentlich behaupten, Sozialhilfeempfänger seien prinzipiell geneigt, den Staat übers Ohr zu hauen.“