„Und da war plötzlich Ruhe“

Mutter schüttelte Säugling zu Tode. Ärzte: Diese Misshandlungen sind keine Seltenheit

Erst im Gerichtssaal erfuhr die angeklagte junge Mutter, wo ihr Kind begraben ist

Der Fall des sieben Monate alten Pascal ist kein Einzelfall. Auch wenn die Umstände hier besonders beklemmend sind. Vor dem Landgericht wurde gestern einer jungen Mutter vorgeworfen, ihren Säugling heftig geschüttelt zu haben, nachdem er am späten Abend nicht aufhören wollte zu schreien. An den Folgen des Schütteltraumas ist Pascal dann zwei Tage später in der Kinderklinik verstorben.

Der Notruf erreichte die Zentrale im Oktober letzten Jahres. Das Kind sei aus einer Wippe gefallen, so die Version, die Mutter und Vater den Rettungskräften erzählten. Der Vater sei stark alkoholisiert gewesen, so berichtete ein Notarzt. Er sei später vor der Notaufnahme der Hess-Kinderklinik am St. Jürgen Krankenhaus Sturm gelaufen. An diese Szene wollte sich der 30-Jährige, der wegen Gedächtnisstörungen in Behandlung ist, gestern nicht mehr erinnern.

An den Abend, an dem es passierte, erinnert er sich gut. Er habe mit seiner Freundin vor dem Fernseher gesessen. Das Kind habe gegen elf angefangen zu schreien, eine halbe Stunde lang, schätzt der Vater. Dann habe er gesagt: „Guck doch mal nach“. Von der Küche aus habe er dann gesehen, wie sie den Jungen geschüttelt habe, „aber nicht doll, und da war plötzlich Ruhe“.

Die Ärztin der Kinderklinik schilderte gestern, dass schnell klar gewesen sei, dass es sich um ein so genanntes Schütteltrauma handele. Die Fontanelle sei deutlich hervorgetreten. „Ein Zeichen für Hirndruck“, wie die Ärztin nüchtern berichtete. Die folgende augenärztliche Untersuchung habe dann Klarheit gebracht: Geplatzte Gefäße und Blutgerinsel seien typische Merkmale für ein Schütteltrauma.

Die Ärzte wussten auch deswegen schnell Bescheid, weil jährlich rund vier Fälle mit einer solchen Misshandlung in der Notaufnahme landen, so erklärt der Oberarzt der Hess-Klinik Günter Auerswald auf Nachfrage. Oft wüssten die Eltern nicht um die verheerenden Folgen. „Wenn das Kind am Brustkorb gepackt wird, schwankt der Kopf massiv vor und zurück“. Venen und andere Gefässe würden abgerissen. „Wir bräuchten viel mehr Aufklärung über diese Form der Misshandlung“, wünscht sich der Kinderarzt und ist froh, dass mit der Schreiambulanz am St. Jürgen Krankenhaus wenigstens eine Anlaufstelle für überforderte Eltern eingerichtet ist: „Denn in der Regel werden Kinder geschüttelt und hingeworfen, weil Vater oder Mutter nicht weiter wissen“.

Ob es Stress war oder schlicht Vernachlässigung, was im Fall des kleinen Pascal zur Katastrophe führte, konnte gestern nicht geklärt werden. Die junge Frau, die gestern die Verhandlung mehr erlitt als verfolgte, will an einem der nächsten Verhandlungstage aussagen.

Erst im Lauf der Zeugenvernehmung wurde außerdem klar, dass die heute 24-Jährige selbst Opfer sexueller Attacken durch ihren Vater war. Offenbar stürzte sie sich nach dem Auszug aus dem Elternhaus in Beziehungen, in denen sie der abhängige und erleidende Teil war. Ihre Mutter, eine 48-jährige Putzfrau schilderte sie als dem Vater des Kindes hörig. Nach ihrer Aussage ist er es gewesen, der das Kind immer wieder falsch behandelt habe. „Er hat das Köpfchen nicht gestützt und das Kind der Mutter einfach zugeworfen“.

Sie war es auch, die ihr totes Enkelkind nach zweieinhalb Wochen auf Nachfrage aus der Gerichtmedizin beerdigen ließ. Mit ihrer Tochter und dem ihr verhassten Lebensgefährten der Tochter hatte sie keinen Kontakt mehr. Erst gestern erfuhr die junge Frau von ihre Mutter, wo ihr Baby begraben liegt. „Es liegt bei Oma und Opa, du weißt ja wo das ist.“ Elke Heyduck