Monsters of Geschmack

England, immer wieder graues England: Für Privatclub-Clubber war der Auftritt des Londoner Trios Saint Etienne im BKA-Zelt ein guter Anlass, um sich bei flockigen Sounds stilbewusst und exklusiv im elektronischen Popkosmos fühlen zu können

von GERRIT BARTELS

Saint Etienne sind eine exklusive Band. Sie machen exklusive Musik für ein exklusives Publikum. Für ein Publikum, das sich die Karten für das Konzert der Londoner Band schon im Vorverkauf besorgt hat – von 300 verkauften Karten ist beim Veranstalter die Rede – und das am Abend dann auch nicht mehr viel größer zu werden scheint. Am Einlass steht Tim von Mr. Dead und Mrs Free und dem Karrera Klub und verteilt Flyer, die eine Manic-Street-Preachers Aftershow-Party ankündigen, und im großen Zelt des BKA-Luftschlosses finden sich schließlich Menschen ein, die im Dreieck von Karrera-Klub, Privatclub und Panorama-Bar ihr nächtliches Zuhause zu haben scheinen.

Nicht weiter überaschend ist es auch, dass Saint Etiennes Sängerin Sarah Cracknell die Bühne exklusiv für sich hat und Pete Wiggs und Bob Stanley sowie ein zeitweise zum Einsatz kommender Gitarrist hinter schwarzweiß leuchtenden Pulten verschwinden, um ihre Keyboards, Sampler und Computer zu bedienen. Saint Etienne bestehen eben aus einer charismatischen Frontfrau, die an diesem Abend ein schlankes schwarzes Oberteil und einen langen, zünftigen, grauen Rock trägt, und zwei eher unauffälligen Herren, die aber sehr schöne Sounds basteln können. Sie sind so nicht nur exklusiv, sondern auch die Blaupause für das TripHop-Modell, das in den frühen Neunzigern serienreif wurde.

Nur weisen ihre Songs seit ihrem erstmaligen Auftauchen Ende der Achtziger in die unterschiedlichsten Richtungen, gen Northern Soul, schwülstigen Synthie-Pop oder südlichen Euro-Dance bespielsweise, in die Sechziger und in die Neunziger. Oder auch nach Berlin, wo sie vor zwei Jahren unter der tatkräftigen Mithilfe der drei Herren von To Rococo Rot ihr Album „The Sound Of Water“ einspielten und mit postrockistischen Sound-Elementen experimentierten.

Mit ihrem damaligen Mini-Hit „Heart Failed (In The Back Of A Taxi“) beginnen sie ihr Konzert, und schon ist man mitten drin in diesem schönen, zart schmelzenden, popistischen Saint-Etienne-Kosmos, in dem Sarah Cracknells Anmut und hingebungsvolles Popstarseinwollen bestens korrespondieren mit den flockigen, ausgeklügelten Sounds von Wiggs und Stanley.

Ein Stück von „Tiger Bay“, eins von „Good Humor“, dann ein Stampfer mit billigem Uffta-Uffta-Technobeat, der komischerweise die größten Begeisterungsstürme hervorruft (ja, wohl doch ein paar Love-Parade-Stammgänger im Publikum, ihr Schlimmfinger!), der durch Cracknells Stimme und Performance aber doch wieder die höheren Weihen erhält.

Der lange Mittelteil des Konzerts wird schließlich den Songs des neuen Saint-Etienne-Albums „Finisterre“ gewidmet, die nicht zuletzt durch die Begleitung laufender Bilder und Videofilme (England, immer wieder England, ein graues England, ein altertümliches England) live erstaunlich gut funktionieren. Denn mit „Finisterre“ haben Saint Etienne ein weiteres Mal den Beweis angetreten, dass sie Pop nie mit Popularität verwechseln, dass erlesener Geschmack bei ihnen immer vor plumpen Bummbumm steht (Ausnahmen wie die Zusammenarbeit mit Paul van Dyk oder oben erwähnter Song bestätigen diese Regel nur), und dass es so mitunter auch mühsam sein kann, sich in neuen Songs von ihnen zurechtzufinden. Hat man das aber einmal getan, beglücken sie jedes Mal wieder aufs Neue, auch nach über zehn Jahren noch.

So ertappt man sich dabei, Saint Etienne für die Zukunft einen richtigen Monsterhit zu wünschen, um dann aber wieder froh zu sein, dass alles so schön und Indie und überschaubar und exklusiv ist, wie es ist.