Kaufen, kaufen, kaufen

Warum das Ende des F.A.Z. Business Radios ein Glück für die Menschheit bedeutet

Jeder zarte Wink auf dem Börsenparkett wurde zum Hinweis für „eine Kursrallye“

Die gute Nachricht der Woche kommt aus der pulsierenden Medienmetropole Berlin. Dort wird das F.A.Z. Business Radio zum 1. November seinen Sendebetrieb einstellen, ebenso wie in Frankfurt und München. Wer in Berlin versehentlich auf der Frequenz 93,6 hängen blieb, weiß, dass das Wort „Ohrenpest“ keine launige Erfindung weltfremd vor sich hin feuilletonisierender Wortklauber ist, sondern im wirklichen Leben seine traurige und reale Entsprechung hat.

F.A.Z. Business Radio erkannte man untrüglich daran, dass die Sprecher dort nicht sprechen konnten. Wenn man in einer Nachrichtenmeldung vier Stolperer hörte, wenn Namen von Politikern, Sportlern, Größen des Showgeschäfts grundsätzlich falsch ausgesprochen wurden, wenn eine einfache Verkehrsdurchsage zum unüberwindlichen Hindernis wurde, dann wussten die „Rundfunkhorcher- und horcherinnen“ (Karl Valentin) stets, welcher Sender ihnen gerade auf den Sender ging.

Nicht minder enervierend war die musikalische Untermalung. Circa alle fünf Minuten ertönte Entscheidermusik, eine schmissige Mischung aus der Sondermeldungsfanfare des Zweiten Weltkriegs und der Titelmusik von „Bonanza“. Da wussten die Macher, Tycoons und Vorstandsschlümpfe aller Gewichtsklassen, dass jetzt wieder etwas ganz, ganz Wichtiges mitgeteilt wurde. Wie man sein Make-Up-Wochenende in Loch Wellness von der Steuer absetzen kann zum Beispiel, oder ein Pfau … äh, Stau auf dem Kurfürstendamm. „Rumpeldipumpel-tätää“, trötete die Entscheidermusik, und atemlose Spannung legte sich über die Hauptstadt. Vermögen entstanden und vergingen in der Dauer eines Wimpernschlags, Imperien zerfielen, Hoffnungen zerstoben und die Kurse crashten.

Als Haussender aller Finanzdienstleister konnte das F.A.Z. Business Radio selbstverständlich nicht auf die Liveschaltung „zum Frankfurter Parkett“ verzichten. Von dort meldete sich dann nicht die unterbezahlte Putzfrau, die es bohnern muss, sondern der Schnösel vom Dienst, dem unabhängig vom Kursverlauf prinzipiell der Optimismus ins Mikrofon troff. Wenn sich einer der dort versammelten Broker ostentativ am Gemächt kratzte, signalisierte das „Kaufen“, wenn einer in der Nase bohrte, bedeutete das „Kaufen“, wenn jemand auf den Boden spuckte, hieß das auch „Kaufen“. Jeder zarte Wink wurde zum Hinweis für „eine Kursrallye“. Brumm, brumm – weil der Schnösel das irgendwann in einem Hauptseminar über den Börsenguru André Kostolanyi aufgeschnappt hatte.

Nie konnten wir uns leider über Meldungen wie diese freuen: „In Frankfurt springen die Analysten aus dem achten Stock. Gestern noch sprangen sie aus dem sechzehnten Stock, Insider werten dies als untrügliches Zeichen für eine bevorstehende Trendwende an den Märkten.“ Mit unzerstörbarem Gleichmut begleitete das F.A.Z. Business Radio die Zeit vom Höhepunkt des Dot.com-Rausches bis in den tiefen Schlund der Rezession, ein Begriff, der im aktiven Wortschatz des Senders übrigens nicht vorkam.

Beim Hören fragte man sich: Wer macht so etwas? Die Stimmprofile legen nahe, dass es sich bei der männlichen Belegschaft vorwiegend um Leute handelte, die in Werbespots virile Vermögensberater, Gebissersatzkonstrukteure oder sonstige Bescheidwisser mimten. Die Frauenstimmchen gemahnten an jene in Kaufhäusern herumlungernden Parfümverkäuferinnen, die arglosen Kundinnen etwas ins Gesicht sprühen, während sie dazu „Testen Sie jetzt kostenlos und unverbindlich“ säuseln.

Als ein Unternehmen, das den Grundwerten von Pluralismus und Meinungsvielfalt verpflichtet war, scheute sich F.A.Z. Business Radio nicht, sein Publikum mit kontroversen Debatten zu konfrontieren. Zum Thema „Öffentliche Bastonade für Gewerkschaftsfunktionäre – eine Chance für den Standort Deutschland“ kamen so unterschiedliche Charaktere wie BDI-Chef Michael Rogowski („Endlich ein konstruktiver Vorschlag“), Lothar Späth („Das könnten auch Arbeitslose durchführen“) und Olaf Henkel („Auspeitschen wäre besser“) ausgewogen zu Wort.

Mit dem 1. November ist diese Epoche des deutschen Rundfunks unwiderruflich vorbei. Vorbei, ein schönes Wort.

RALF OBERNDÖRFER