Schluss mit lustig

Nach Möllemann besinnt sich die FDP wieder auf ihre bürgerlichen Wurzeln, doch die sind verdorrt. Zu einer Neuausrichtung fehlt der Partei eine überzeugende Botschaft

Auch das bürgerliche Umfeld der FDP ist kein Anhänger uneingeschränkter Deregulierung

Noch lässt sich nicht in vollem Umfang ermessen, welcher Schaden für die FDP dem „überprüfungswürdigen Geisteszustand“ anzulasten ist, den Otto Graf Lambsdorff bereits vor der Wahl bei Jürgen W. Möllemann diagnostizierte. Doch wird im Nachhinein klar, dass dessen brachial-dilettantisches Vorgehen vielleicht Wahnsinn war, aber durchaus Methode hatte. Und diese Methode ist, wie jetzt Tag für Tag deutlicher wird, viel fester mit der Partei verwoben, als dass sie als die „Affäre eines Mannes“ mit dessen Ausschluss von allen Ämtern bereinigt werden könnte. Die Methode Möllemann, das waren eben nicht allein die illegitimen Spenden und die antisemitischen Anzüglichkeiten, die ihm nun den Kopf kosteten. Beides war vielmehr Ausfluss einer auf die Spitze getriebenen Zurichtung der FDP zu einer „Protestpartei der Mitte“, die auch vom Parteivorsitzenden Guido Westerwelle in allen Facetten mitgetragen wurde.

Er hatte dieses Projekt als Generalsekretär vor drei Jahren ausgerufen, um die Partei endgültig vom elitären Hautgout zu befreien, im Dienste der besser Verdienenden zu stehen. Zuvor hatte er bereits im medialen Dauereinsatz den dahindarbenden Honoratiorenverein FDP als Generationenprojekt der Post-68er für junge Wähler attraktiv gemacht. Doch die neue Stimmung setzte sich nicht in Stimmen um. Erst der Fallschirmspringer Möllemann sorgte mit der Ausrichtung auf 18 Prozent, der Äquidistanz zu SPD und CDU und der eigenen Kanzlerkandidatur für eine erfolgsträchtige Strategie und ebnete damit Westerwelle zugleich den Weg an die Parteispitze.

Mit seinem Rücktritt ist Möllemann nicht mehr das Problem der FDP, doch mit diesem Schritt werden die Probleme der FDP wieder sichtbar. Die schwindende bürgerliche Substanz, die durch die juvenilen Eskapaden des Vorsitzenden in den letzten Jahren mehr verschleiert denn bekämpft wurde. Sie macht sich nun, nach dem Scheitern des Projekts „18 Prozent“, wieder existenzbedrohend bemerkbar.

Doch weit mehr noch mangelt es der FDP zur Neuausrichtung an einer überzeugenden Botschaft. Ihren Aufstieg leitete sie Mitte der Neunzigerjahre mit einer marktradikalen Orientierung ein, die einer scheinbar unaufhaltsam wachsenden Ökonomie politischen Ausdruck verlieh. Die Privatinitiative wird von Westerwelle zum politischen Credo erhoben, ihr hat alle staatliche Intervention zu weichen. Eine Gesellschaft tut sich da auf, die dem Leistungsbereiten alle Optionen offen hält. Der fortschrittsbeseelte Mensch, von dem Drang getrieben, die sich offerierenden Möglichkeiten auch Wirklichkeit werden zu lassen, kennt eigentlich nur eine Angst: etwas zu verpassen, nicht mithalten zu können. Die freie Entfaltung des liberalen Bürgers erweist sich als die bedingungslose Flexibilität des Wirtschaftsbürgers.

Der Citoyen tritt hinter dem Bourgeois zurück. Er darf allenfalls noch in Schwundstufen liberale Freiheitsrechte gegen den Staat verteidigen, und auch dafür erntet er kaum noch Lorbeer. Denn spätestens seit dem 11. September 2001 ist das gesellschaftliche Interesse an der Wahrung und Ausweitung der Bürgerrechte gegenüber dem Staat dem Bedürfnis nach Schutz der Freiheit durch den Staat gewichen. Doch schon vorher erschöpfte sich der Rechtsstaatsliberalismus, ehedem ein Kampf für allgemeine Bürgerrechte, in der Durchsetzung von Minderheitenrechten. Und dieses Feld wird mittlerweile von den Grünen souverän beherrscht. Wo der Kampf um negative Freiheitsrechte zur freidemokratischen Sinnstiftung nicht mehr viel hergibt, richtet sich das Augenmerk auf die positive Seite der Medaille. In ihrer Krise wird der Partei nun die Freiheit zur Entfaltung bürgerschaftlichen Engagements nahe gelegt. Die Selbstorganisation der Gesellschaft jenseits sozialstaatlicher Bevormundung und Förderung soll sie sich auf die Fahnen schreiben. Die ist in der Tat in Deutschland nur rudimentär entwickelt. Das hat allerdings weniger mit staatlicher Gängelung als vielmehr mit einer Tradition der Überantwortung an wohlfahrtsstaatliche Instanzen zu tun, die auch im Bürgertum verbreitet ist. Und so kommt selbst die Entstaatlichung dieses Bereiches selten ohne Hilfe des Staates voran. An die Stelle der Subvention einer gemeinnützigen Einrichtung tritt die Abzugsfähigkeit der Spende für ebendiese Einrichtung. Zu begrüßen ist das allemal, doch taugt es kaum zur politischen Kennziffer. Denn dem zivilgesellschaftlichen Engagement haben sich mittlerweile alle Parteien verschrieben. „Mit der FDP hat das alles sehr wenig zu tun“, resümiert der Spiritus Rector der Bürgergesellschaft, Ralf Dahrendorf, denn auch, „Wohl aber mit einer Allianz der Liberalen, wo immer sie sich parteipolitisch ansiedeln.“

Das sind keine guten Aussichten für den parteiförmigen Liberalismus, zumal seine radikale Marktphilosophie sich schwer tut, auf die anhaltende Talfahrt der Wirtschaft die passenden Antworten zu geben. Mittlerweile hat die Krise auch die eigene Klientel erreicht. Die Generation Westerwelle erlebt ihre erste kollektive Depression. Nun, wo auch ihr der Ausschluss von der Arbeitswelt droht, werden ihr die Grenzen ihres individualistischen Utilitarismus bewusst. Ein Zurück in die goldenen Neunziger ist nicht möglich, die Situation verlangt nach Sicherheit, notfalls nach staatlich sanktionierter. Die Protagonisten der New Economy entdecken den Betriebsrat. Auch das traditionelle bürgerliche Umfeld der FDP ist entgegen der öffentlichen Botschaft kein Anhänger uneingeschränkter Deregulierung. Im Zweifel hält man lieber an der überkommenen Handwerksordnung fest, und auch die Liberalisierung des Medikamentenmarkts findet ihre Grenze, wo der Apotheker sein Einkommen bedroht sieht. Dabei entspricht doch der Internethandel geradezu dem Idealtyp liberalen Wirtschaftens.

Die Durchsetzung von Minderheitenrechten beherrschen die Grünen mittlerweile souverän

Doch nicht nur die Praxis, auch die Theorie offenbart Risse. Die neoliberale Chicagoer Schule Milton Friedmans hat den Zenit ihres Einflusses überschritten. Zwar ist sein Klassiker „Kapitalismus und Freiheit“ in Deutschland gerade erst wieder neu aufgelegt worden. Doch gewinnen Analysen und Programme wieder an Bedeutung, welche im gesellschaftlichen Umfeld mehr sehen als eine Ansammlung rationaler Marktakteure. Auf solche Koordinaten ist die Union mit ihrer neuen sozialen Marktwirtschaft besser ausgerichtet. Es spricht einiges dafür, dass die Bürger, die vor drei Jahren aus Verdruss über die CDU-Spendenaffären der FDP ihr Zwischenhoch bescherten, nun wieder zurücktendieren werden – zumal sie dafür den gleichen Anlass haben.

Wenn die FDP nicht an ihrer aktuellen Krise zerbricht, so wird sie wieder zum wirtschaftsliberalen Korrektiv des größeren Oppositions- und künftigen Koalitionspartners schrumpfen, innerlich zerrissen, von Existenznöten gepeinigt und wahlweise mit Zweitstimmen gepäppelt. Damit findet sich die FDP in der Position wieder, die hinter sich zu lassen Westerwelle eigentlich angetreten war. DIETER RULFF