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: Plötzliche Tauben

Benjamin Ben-Elieser war Ariel Scharons treuester Mitarbeiter. Als Chef der Arbeitspartei und Verteidigungsminister hat er die brutalsten Maßnahmen seines Premiers ausgeführt und Scharons Politik, jede Friedensmöglichkeit zu zerstören, unterstützt. Jetzt hat Ben-Elieser die Regierung verlassen. Warum?

Kommentarvon URI AVNERY

In weniger als drei Wochen wird die Arbeitspartei einen neuen Chef wählen. Der wird automatisch Kandidat für das Amt des Ministerpräsidenten. Ben-Elieser hat zwei Gegenkandidaten. Der gefährlichere ist Amram Mitznah, der Bürgermeister von Haifa, ein Exgeneral, der schon im Libanonkrieg den Mut hatte, gegen Scharon zu protestieren. Jetzt ist Mitznah überraschend auf der Bühne erschienen und hat eine klare „linke“ Botschaft verkündet: für Verständigung mit den Palästinensern und gegen die Siedlungspolitik Scharons. Meinungsumfragen geben ihn weit mehr Stimmen als Ben-Elieser. Der wiederum kann nicht nur Meinungsumfragen lesen – es wird sogar behauptet, er lese nichts anderes. Der Verteidigungsminister zog also die Konsequenz und verursachte eine Regierungskrise mit der Forderung, die Zuschüsse für die Siedlungen zu reduzieren, um den armen Schichten zu helfen.

Wenn ein Politiker, der soeben noch eine kompromisslose Kriegspolitik unterstützt hat, sich plötzlich als Taube entpuppt, dann bedeutet das, dass er meint, die Wähler hätten den Krieg satt; dass sie einen Führer suchen, der bereit ist, über einen vernünftigen Frieden zu verhandeln; und dass ein großer Teil der Öffentlichkeit die Unterstützung des Siedlungsbaus ablehnt.

Unpopulär waren die Siedler immer. Die orthodoxen Fanatiker sehen anders aus und benehmen sich anders als andere Israelis. Verwöhnt von allen bisherigen Regierungen haben sie wirtschaftliche Lebensbedingungen, die Neid erregen – besonders bei den 20 Prozent der Bürger, die unter der Armutsgrenze leben. In den letzten Wochen haben die Siedler besonderen Abscheu hervorgerufen, als sie palästinensische Bauern bei der Olivenernte überfielen. Dabei haben sie auch auf Friedensaktivisten geschossen, die den Palästinensern zu Hilfe geeilt waren. Das hat sie nicht populärer gemacht.

Jetzt wird Scharon versuchen, eine noch rechtsradikalere Regierung aufzustellen. Aber dank der oppositionellen Arbeitspartei wird er nicht verhindern können, dass zukünftig auch andere Stimmen gehört werden.

Der Autor ist Publizist und Friedensaktivist in Tel Aviv.

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