Legenden des Dekoverzichts

Die Möbel der „Volkswohnung Bauhaus“ aus dem Jahr 1929 kommen dem Ideal einer an den Grundbedürfnissen orientierten Gestaltungslinie sehr nah. Doch die bestechenden Einzelstücken wirken in ihrer Ausschließlichkeit karg

von MICHAEL KASISKE

„Möbel sollen einfach und materialgerecht gestaltet sein“, lautet eine klassische Forderung der Innenarchitektur. Da liegt der Begriff der Askese nahe. Laut Wörterbuch heißt Askese: eine „streng enthaltsame und entsagende Lebensweise“, also der leicht erscheinende Verzicht auf Luxus und Überflüssiges. Wo aber fängt das Verschwenderische an, wann wird der Umfang dessen überschritten, was tatsächlich gebraucht wird? Die aktuelle Ausstellung im Bauhaus-Archiv „Bauhausmöbel – Eine Legende wird besichtigt“ zeigt anschaulich, wie formal unterschiedlich und auch abhängig von der Zeitgenossenschaft der Begriff Askese interpretiert werden kann.

Jene Möbel für die Ausstellung „Volkswohnung Bauhaus“, die 1929 konzipiert wurden, kommen dem Ideal einer an den Grundbedürfnissen orientierten Gestaltungslinie am nächsten. Der Armlehnstuhl von Wera Meyer-Waldeck erscheint, als sei er aus einem Bündel Latten und drei Stoffresten mit Hilfe des häuslichen Werkzeugkastens entstanden. Bequem ist der Stuhl jedoch allemal. Das Prinzip der gespannten Stoffe als Sitz- und Rückenlehne funktioniert ähnlich wie das der ungleich berühmteren Freischwinger.

Billige Materialien wie Sperrholz und einfache Konstruktionen sollten einen günstigen Preis für dennoch sorgsam entwickelte Möbel erzeugen. Auch der „Rollende Kleiderschrank für Junggesellen“ von Josef Pohl gehört zu den in diesem Zeitabschnitt ausgestellten Möbeln. Nach wie vor fasziniert die klug komprimierte Lagerung von unterschiedlichen Kleidungsstücken wie Hemden, Anzügen und Schuhen in einem kleinen Container. Warum wird so etwas Praktisches, Raumsparendes und Flexibles heute nicht produziert?

Der Kurator der Ausstellung, Christian Wolsdorff, hat eine Antwort parat: „Wenn Sie ein Zimmer nur mit dem Mobiliar der Volkswohnung bestücken, würden Sie sich vorkommen wie unter einer Ansammlung Transportkisten. Was als Einzelstück bestechend erscheint, wirkt in der Ausschließlichkeit karg. Den Bewohnern wird mit jedem Blick in ihre Wohnung versinnbildlicht, wie arm sie sind.“ Diesem Argument kann sich als Fachmann verschließen, wer die konstruktive, intellektuelle und historische Grundlage der Entwürfe bewertet. Für das Gros der Nutzer, die mit Askese Armut verbinden, werden sie als Stigma verstanden.

Doch die Ausstellung – und das ist ihre Qualität – zeigt eine große Bandbreite an Möbeln, die entweder am Bauhaus entstanden sind, die seine Protagonisten außerhalb der Lehre entwarfen, oder die im weiteren Umwelt entstanden. Damit verdeutlicht sich die Dehnungsfähigkeit des Begriffs Askese, den alle Bauhauslehrer mehr oder weniger für sich in Anspruch nahmen. Nach dem neohistoristischen Pomp der Gründerzeit und der überbordenden Dekorationslust des Jugendstils werden unter „einfach“ nämlich auch jene Möbel subsumiert, deren Form zwar reduziert und ohne Dekoration, jedoch aus wertvollen Materialien gefertigt sind.

Ludwig Mies van der Rohe und Walter Gropius haben ausschließlich großbürgerliche Einrichtungen entworfen. Edle Hölzer, aufwändige Lackierung, präzise handwerkliche Verarbeitung prägen ihre ausgestellten Arbeiten. Der Sessel von van der Rohe für das Haus Tugendhat aus vernickeltem Stahlband mit Lederpolstern und ein von ihm gemeinsam mit Lilly Reich entworfenes Esszimmer – ein Tisch aus Palisander und sechs Stahlrohrstühle – sprechen eine selbstbewusste Formensprache, die sich nicht eines aufgesetzten Schmucks zu bedienen braucht.

Es ist van der Rohes Gespür für das „Material als Luxus“, das sich überall in seinem Werk findet, wie die britischen Architekten Alison und Peter Smithson meinen. „Die flache, weite, roh geputzte Wandfläche in den Häusern der Afrikanischen Straße im Wedding bringt das Wesen von Rohputz als Rohputz heraus und spielt diese Rolle dergestalt, dass die Gewöhnlichkeit zu einer Art Würde erhoben wird.“ Das trifft auch auf die Möbel aus Stahlrohr zu, denen eine eigene Abteilung in der Ausstellung gewidmet ist. Die mannigfaltige Produktpalette – neben den Freischwingern und Hockern auch Tische, Betten und Regale – geht auf die Nähe zu den Junker Flugzeugwerken in Dessau zurück. Dort gab es in der Montage kufenförmige Montagehocker, die wie Schlitten zum jeweiligen Arbeitsgang gezogen wurden. An den Werkbänken von Junker machte denn auch Marcel Breuer seine Versuche mit kalt gebogenem Stahlrohr, denen seine ersten Stühle entstammen, die zwar Kufen haben, aber keine Freischwinger sind.

Breuers zuvor in Weimar entworfene Möbel waren wesentlich expressiver. Aus Holz baute er den fast wie ein Thron erscheinenden Lattenstuhl und – für den konventionellen Gebrauch – einen Küchenstuhl mit drei passenden „Kinderstühlen“ in drei Größen. Erst in seiner Dessauer Periode wandte er sich den industriell gefertigten Produkten zu, die seine Innenraumentwürfe prägten, von denen einige in historischen Fotografien zu sehen sind. Diese sind auch Beleg für das Bemühen, durch Massenprodukte vor allem die hygienischen Verhältnisse für die allgemeine Bevölkerung preiswert verbessern zu können. Das erwies sich jedoch als Trugschluss, Auftraggeber blieben in der Regel Personen, die selbst mit moderner Kunst befasst waren.

Der soziale Anspruch wird häufig gegen die Möbelentwürfe ausgespielt, deren Produktion teuer ist. Gleichzeitig wird der Begriff „Bauhausstil“ missbraucht, um einen Gegenstand in das rechte, werbewirksame Licht zu rücken. Beides ist unzulässig. Schließlich spiegeln die Möbel lediglich die heterogenen Positionen ihrer Formgeber wider. Ihr einziger gemeinsamer Nenner mag der Widerstand gegen „das Dekorative“ gewesen sein. Gerade an den Möbeln aus dem Bauhaus lässt sich zeigen, dass asketisch wohnen nicht heißt, auf Paletten zu schlafen und auf Obstkisten zu sitzen. Vielmehr schulen sie den Blick für die genaue Grenze, an der Nützlichkeit von Aufwand übertrumpft wird. Ob es Glück oder Unglück ist, dass sich diese Haltung nicht zwingend auf die Nutzer überträgt, mag jeder für sich selbst entscheiden.

Die Ausstellung läuft bis 10. März 2002. Ort: Bauhaus-Archiv, Klingelhöferstraße 14, 10785 Berlin. Öffnungszeiten: Mi.–Mo. 10–17 Uhr. Katalog: 9,50 €Ľwww.bauhaus-archiv.de