Das Kilometer-Kraftwerk

Das höchste Gebäude der Welt soll in Australien entstehen – ein Aufwindkraftwerk. In einem riesigen Kamin steigt erwärmte Luft empor. Der Luftstrom treibt Turbinen an. 400 Millionen Dollar soll die Anlage kosten und rund 200 Megawatt leisten

„Wir stellen eineRöhre hin undsorgen dafür, dasssie nicht umfällt.“

Wenn Segelflieger und Paraglider miteinander reden, geht es meist nur um das eine: Thermik – heiße Luft also, die aufsteigt. Auch ein schwäbisches Ingenieurbüro ist fasziniert von den aufsteigenden Luftmassen. Sie wollen deren Energie nutzbar machen. „Aufwindkraftwerk“ lautet das Zauberwort bei Schlaich, Bergermann und Partner in Stuttgart, den Konstrukteuren des Glasdachs auf dem Münchner Olympiastadion.

Im knochentrockenen nordwestlichen australischen Bundesstaat Victoria wollen sie ihre Idee realisieren: Das australische Unternehmen EnviroMission Ltd. will dort nach Plänen der deutschen Ingenieure für geschätzte 400 Millionen Dollar eine Anlage mit 200 Megawatt (MW) Leistung bauen. Das entspricht einem Drittel der Energie, die ein konventionelles Kohlekraftwerk produziert.

Das Grundprinzip des Aufwindkraftwerks ist einfach: Unter einer mächtigen Glasfläche erwärmt sich Luft. Die Glasfläche hat die Form eines umgestülpten, sehr weit ausladenden Trichters, in der Mitte befindet sich ein riesiger Kamin. In diesem Kamin steigt die erwärmte Luft empor und erreicht dabei Geschwindigkeiten von bis zu 60 Stundenkilometern. Durch den Luftstrom werden Turbinen am Fuß des Kamins angetrieben.

Der voraussichtliche Bauplatz liegt nahe der australischen Küste, dort verläuft das Energieverbundnetz des Subkontinents. Das geplante Projekt hat gewaltige Ausmaße. Der Kamin soll eine Höhe von 1.000 Metern und einen Durchmesser von 170 Metern erreichen; das runde Glasdach, für dessen einzelne Scheiben eine Glasstärke von nur vier Millimetern vorgesehen ist, wollen die Initiatoren über eine Fläche von mehr als 19 Millionen Quadratmeter spannen.

Ein Turm mit einer Höhe von einem Kilometer wäre das höchste Gebäude der Welt – eine Glasfläche, unter der sich bequem die Nordseeinsel Langeoog unterbringen ließe. Kann das gut gehen? Wolfgang Schiel, Projektleiter des Stuttgarter Ingenieurbüros, sieht die Dinge eher nüchtern: „Es ist wie bei jedem Gebäude dieser Größenordnung. Wir berechnen die zu erwartenden Belastungen, zum Beispiel durch Wind oder mögliche Erdbeben. Die Ergebnisse erhöhen wir als Sicherheitsaufschlag um den Faktor zwei.“ Auf der Grundlage dieser Werte würden dann die Vorgaben an das Baumaterial wie Wandstärke, Armierung oder Elastizität entwickelt. Die Ansprüche an das Gebäude beschreibt Schiel bildhaft: „Sie haben es hier nicht mit einem Hochhaus zu tun, wo in 1.000 Meter Höhe Menschen wohnen wollen. Unsere Aufgabe ist viel einfacher: Wir stellen eine Röhre hin und sorgen dafür, dass sie nicht umfällt.“

Die Investitionssumme fällt mit veranschlagten 400 Millionen Dollar beeindruckend hoch aus. Wer stellt solche Summen bereit? Die Firma EnviroMission ist seit dem 6. August 2001 an der Australian Stock Exchange notiert und verfolgt das Ziel, der führende Anbieter von grünem Strom in Australien zu werden. Die Manager um den Chef des Unternehmens, Martin Hallowel Thomas, setzen mit dem ehrgeizigen Aufwindprojekt alles auf eine Karte. Das Unternehmen plant keine weiteren Kraftwerke mit anderen regenerativen Technologien wie etwa Wind, Erdwärme oder Gezeitenenergie. Schon die „monolithische“ Größe der 200-Megawatt-Anlage werde weltweite Aufmerksamkeit erregen, meint die Internetseite www.enviromission.com.au. Allein schon aus der Attraktivität für Touristen, so hoffen die Initiatoren, werde dem Projekt ein Mehrwert erwachsen.

Das erste Kraftwerk planen die Australier im Jahr 2005 ans Netz zu bringen, ihm sollen bis 2010 weitere vier Anlagen folgen. Das Ziel sei die Versorgung von einer Million Haushalten mit elektrischer Energie. Nach Berechnungen von Projektleiter Schiel soll der Aufwindstrom bei einer Rendite auf die eingesetzten Investitionsmittel von 11 Prozent etwa 20 Prozent mehr kosten als die Energie aus australischen Kohlekraftwerken. Die Technik sei sehr langlebig, eine Lebensdauer von 80 Jahren halte er für realistisch, so Schiel.

Eine letzte Kapitalerhöhung platzierte das Unternehmen im März 2002 zum Preis von 25 Cent pro Aktie. Über die Details der Finanzierung des Aufwindprojekts wurden noch keine Einzelheiten veröffentlicht. Die Hauptaktionärin der EnviroMission Ltd., die Energen Global Inc., gab Mitte Mai bekannt, dass sie in den USA eine Vertretung eröffnet habe, um die Solarturmtechnologie zu vertreiben. Energen besitze die Rechte zur Nutzung der Technik für eine Reihe von Staaten, heißt es. Die Verhandlungen über drei potenzielle Standorte im Südwesten der USA seien weit fortgeschritten. Wird die Aufwindtechnologie aber den Durchbruch zu einer sauberen Energieversorgung aus Kraftwerken in den armen Wüstenregionen der Welt bringen? Hat die von ihren Anhängern als besonders wartungsarm und robust charakterisierte Technik einen Siegeszug durch Entwicklungs- und Schwellenländer vor sich?

Detmar Arlt, Leiter des Fachgebietes Elektrische Energieversorgung und Elektrowärme an der Fachhochschule Düsseldorf, sagt: „Das ist eine ebenso interessante wie exotische Technologie, deren Einsatz unter den politisch unsicheren und wirtschaftlich zerrütteten Verhältnissen der meisten Entwicklungsländer ich allerdings für vollkommen unrealistisch halte.“ Dort bestehe weder der entsprechende Energiebedarf noch hätten die Staaten die nötigen Finanzmittel zur Verfügung. Der Wissenschaftler rät abzuwarten: „Wären Sie etwa bereit, Ihr Geld in die Errichtung eines millionenschweren Aufwindkraftwerks in Somalia zu investieren?“

CHRISTOPH LÜTZENKIRCHEN/
ECOREPORTER.DE