Der Minus-Milliardär vor Gericht

Als Verkäufer brillant, als Unternehmer unfähig: Der rasante Aufstieg und ebenso rasante Fall des Thomas Haffa und der Traum vom schnellen Geld

von DETLEF GÜRTLER

Im Leben der meisten bedeutenden Menschen gibt es einen Moment der Erleuchtung, der ihrem Leben die Bahn weist. Saulus wurde zu Paulus und zum Apostel des Christentums, weil Jesus ihm auf der Landstraße erschien, bei Archimedes war es ein Wannenbad, das ihn die Gesetze der Wasserverdrängung entdecken ließ – und Thomas Haffa wurde von den Muppets erleuchtet.

Es war im Jahr 1975, der 22-jährige Haffa verkaufte für IBM Schreibmaschinen, als ihm ein Motivationsvideo vorgespielt wurde: „The Final Speech“. Eine Muppets-Figur hält darin eine zweieinhalbminütige Rede an die Nation, steigert sich immer mehr in die eigenen Worte hinein, um am Schluss mit überschnappender Stimme auszurufen: „Verkauft eure Mutterschaft! Verkauft Amerika! Verkauft Apfelkuchen! Was immer ihr auch tut: verkauft! Verkauft! Verkauft!“ Thomas Haffa war tief beeindruckt: „Das stand für Wahrheit. Denn natürlich geht es im Geschäft letztlich nur ums Verkaufen.“ Der ehrgeizige Schulabbrecher aus dem kernbayrischen Pfaffenhofen hatte den Sinn seines Leben gefunden – und ein Vierteljahrhundert später würden viele Menschen teuer dafür bezahlen müssen.

Nach IBM kam Leo Kirch, statt Schreibmaschinen verkaufte Haffa erst Videos und dann Merchandising-Lizenzen. Ab 1989 auf eigene Rechnung arbeitend, fand er schließlich, ab 1997, seine definitive Aufgabe: sich selbst zu verkaufen. Und tatsächlich, ein scheinbar märchenhaftes Kurswunder machte seine Kinderfilm-Firma EM.TV zum Börsensuperstar und ihn zum König des Neuen Markts.

Heute wissen wir: Eine Hand voll Paten half bei der Wunderproduktion kräftig nach. Das waren ein paar fixe Jungs von der WestLB, die EM.TV für den Neuen Markt entdeckten und Haffa damit vor der Pleite retteten; das war der Journalist und Investmentmanager Marian von Korff, der im Focus die EM.TV-Aktie über den grünen Klee lobte; das war der Merrill-Lynch-Analyst Bernard Tubeileh, der mit spektakulären Kurszielen die Aktie nach oben schrieb; das war der Fondsmanager Kurt Ochner, der eine Zeit lang den Kurs der Haffa-Aktie fast beliebig nach oben manipulieren konnte; und das war natürlich der Pate aller Paten im Mediengeschäft – Leo Kirch. Denn er war nicht nur der wichtigste Lieferant von EM.TV, seine TV-Sender Premiere, Pro 7 und Sat.1 waren auch Thomas Haffas größte Kunden.

Weil das Geschäft also praktisch von allein lief, konnten sich Thomas Haffa und sein kleiner Bruder Florian darauf konzentrieren, am Image zu arbeiten. Florian hielt als Finanzvorstand Investoren und Journalisten bei der Stange, Thomas stellte vor allem sich selbst dar. Und für beide bestand deshalb der Job jahrelang vor allem aus: Partys, Partys, Partys.

Thomas Haffa verkaufte sich als Prototyp. Keiner stand so wie er für den Traum vom schnellen, großen Geld. Keiner verkörperte so wie er einen neuen Unternehmertypus, der sich zum Spaß am Geldverdienen genauso bekennt wie zur Freude am Geldausgeben. Keiner demonstrierte so wie er das Heranbrechen eines neuen Wirtschaftszeitalters, in dem nicht reale Produkte, sondern immaterielle Werte zählen: Content war King, und er war der King of Content. Keiner war so wie er das leibhaftige Gegenbeispiel zum ewigen Gejammere über den Standort Deutschland. „Erfolg ist in Deutschland dubios“, beschwerte er sich auf dem Höhepunkt seines Ruhms. „Wenn Sie hier Erfolg haben, glaubt jeder, Sie haben jemanden bestohlen.“

Doch schon bald stellte sich heraus, dass es berechtigt war, den Erfolg der Haffa-Firma für dubios zu halten. Anfang 2000, auf dem Höhepunkt des Börsenbooms, hatte EM.TV völlig planlos und überteuert eingekauft: erst die schwer angeschlagene Muppet-Firma Henson, schließlich die Hälfte des Milliardenzirkus Formel 1. Dieser Deal brach der Firma das Genick. Im Frühjahr 2001 hätte EM.TV 1 Milliarde Dollar in bar gebraucht, um den Formel-1-Zampano Bernie Ecclestone auszuzahlen, aber nach dem Ende der Party am Neuen Markt war das Geld weder bei Banken noch den Aktionären aufzutreiben. Haffa gab klein bei und flüchtete sich in die Arme seines Förderers Leo Kirch.

So schnell die EM.TV-Aktie zuvor geklettert war, so schnell sackte sie auch wieder ab. Als Thomas Haffa im Juli 2001 den Chefposten aufgab, lag der Aktienkurs 98 Prozent unter dem Höchststand vom Februar 2000. Das Privatvermögen des schillernden Verkäufers hielt sich dagegen weit besser: Zwischen 1998 und Anfang 2000 hatte Thomas Haffa klammheimlich mehr als 6 Millionen Aktien verkauft und einen dreistelligen Millionenbetrag auf die sichere Seite gebracht. Insgesamt dürfte das Vermögen der Familie Haffa heute eher über als unter 300 Millionen Euro liegen.