Totschweigen geht nicht

Kulturwoche Suizidalität will ins Gespräch kommen: Mit Musik und Literatur, in Messen und Kirchen. ExpertInnen gegen das Verteufeln der Internet-Foren

„Heute nicht Tatort gucken!“, befahl die Bild am Sonntag am vergangenen Sonntag ihren LeserInnen. Denn dort ging es um Internet-Foren, in denen sich Lebensmüde über das Thema Suizid austauschen. Nun gibt es ExpertInnen, die befürchteten, dass ein solcher Film eine Suizid-Welle auslösen könnte. Die TherapeutInnen am „Therapiezentrum für Suizidgefährdete“ des UKE vertreten eher die Ansicht, dass Totschweigen keine Lösung ist. „... darüber reden“ ist deshalb das Ziel der derzeit laufenden Kulturwoche Suizidalität.

„Klingende Buchstaben“ ist beispielsweise der Titel einer Konzertlesung, die heute um 20 Uhr im Spiegelsaal des Museums für Kunst und Gewerbe beginnt. Die Therapeutin und Literaturwissenschaftlerin Benigna Gerisch liest aus der Erzählung „Mutter und die Musik“ der russischen Dichterin Marina Zwetajewa und wird dabei von Katja Morgenstern auf dem Cello begeleitet: Marina Zwetajewa wird 1892 geboren und ihr Leben ist von der Dramatik des 20. Jahrhunderts geprägt: Die russische Revolution reißt ihre Familie vorübergehend auseinander und zwingen sie und ihren Sohn ins Exil nach Berlin und Paris. Erst 1930 kehrt sie erschöpft nach Russland zurück. Ihr Mann wird 1941 im Gefängnis erschossen, ihre Tochter überlebt acht Jahre Arbeitslager. 1941 erhängt sich Marina Zwetajewa.

Ebenfalls heute liest Holger Reiners aus seinem Buch: „Das heimatlose Ich: aus der Depression zurück ins Leben“. Der erfolgreiche Architekt, Unternehmensberater und Autor zahlreicher Architektur-Bücher lebt mit seiner Familie in Hamburg. Er litt über 20 Jahre an Depressionen und beschreibt, seine Erfahrungen, Wege und Erkenntnisse. Ab 20 Uhr liest er in Lehmanns Fachbuchhandlung am UKE und diskutiert mit Professor Paul Götze, dem Leiter des Therapiezentrums für Suizidgefährdete.

Auch Kirche widmet sich dem Thema: Morgen lädt die St. Johannis-Gemeinde in Harvestehude (Heimhuder Straße) ab 20 Uhr zu Vortrag und Musik: „Zwischen Ächtung und Achtung“. Professor Matthias Kettner spricht zur Philosophie des Selbstmords und seine zwiespältige Bewertung als Akt der Freiheit oder unverzeihliche Verletzung. Claus Bantzer bringt die Worte durch Musikimprovisationen zum Klingen. SAN

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