Kultur macht Wanderbewegungen

Angesichts der Haushaltslage drängen die Antragsteller für kulturelle Projekte komplett in Richtung Hauptstadtkulturfonds. Über 400 Anträge rangeln um nur rund drei Millionen Euro. Weiss will neuen Hauptstadtkulturvertrag im Jahr 2004

von ROLF LAUTENSCHLÄGER

Angesichts der katastrophalen Haushaltslage des Landes drängen sich die freien Künstler und Kulturschaffenden Berlins um die letzten „Fleischtöpfe“ kultureller Förderung. Zu einer dramatischen Situation haben jetzt die Projektanträge für eine Unterstützung aus dem Hauptstadtkulturfonds auf dem Schreibtisch von Adrienne Goehler geführt, die mit weit über 400 Einsendungen „einen Spitzenwert erreicht“ sieht. Die Kuratorin sieht darin nicht nur die Bestätigung, dass sich der mit 10,2 Millionen Euro ausgestattete Bundesfonds „zeit seines Bestehens 1999 als prominentes Instrument der Kunst- und Kulturförderung etabliert hat“. Vielmehr mache die hohe Zahl für das anstehende Jahr 2003 deutlich, dass die entsprechenden Subventionen aus den Mitteln des Landes Berlin „kontinuierlich reduziert“ wurden und sich zugleich immer neue künstlerische Bereiche Geld vom Hauptstadtkulturfonds versprechen.

Dramatisch ist die Lage, weil die gemeinsame Kommission, die jährlich in zwei Sitzungen über die Vergabe entscheidet, auf ihrer ersten Sitzung 70 Projekten 5,8 Millionen Euro zugestanden hat. Für die neuen circa 400 Anträge in der zweiten Kommissionsrunde „stehen damit nur noch rund 3 Millionen Euro zur Verfügung“, sagte Siegfried Langbehn, Leiter in der Geschäftsstelle des Hauptstadtkulturfonds, zur taz. Die restlichen Mittel seien für frühere Projektzusagen bereits gebunden. Damit werde es für viele Projekte „diesmal recht knapp“. Denn das Antragsvolumen belaufe sich auf 31 Millionen Euro – mehr als das Zehnfache wie noch für 2002.

Nach Ansicht von Langbehn „drängen sich viele Antragsteller, die früher in den Berliner Fachreferaten (die jetzt über keine freien Mittel mehr verfügen) vorstellig geworden sind“, nun in den Hauptstadtkulturfonds. Durch die marode Haushaltslage seien beispielsweise Projekte des Internationalen Kulturaustauschs, der Bildung, Literatur und freier Theatergruppen, die einst von den zuständigen Referaten der Kultur-, Wissenschafts- oder Sozialverwaltung bedient wurden, nun auf den Bundesfonds aufgesprungen. Langbehn: „Es gibt Wanderbewegungen. Gerade der freie Theaterbereich sieht seine Chancen für Projekte nun beim Hauptstadtkulturfonds.“

Übel nehmen Goehler und Langbehn den Gruppen das Wettrennen um die letzten Kulturfördermittel keineswegs. Vielmehr zeige dies, so Goehler, dass das „künstlerische Potenzial der Hauptstadt unverändert wächst“.

Zugleich weisen beide aber darauf hin, dass sowohl das Land als auch der Bund die Kulturförderung ausbauen – und nicht reduzieren – sollten. Es wäre gut, so Langbehn, wenn wir „weiter Zusagen“ des bis 2004 laufenden Vertrages erhalten könnten.

Während Bundesfinanzminister Hans Eichel (SPD) sich nicht bereit zeigt, die „Verhandlungsstrategie für mehr Geld“ mit Berlin zu ändern, hat die neue Staatsministerin für Kultur, Christina Weiss, ein Signal in Richtung Berlin-Kultur ausgesandt.

Weiss hat der Hauptstadt am Dienstag angeboten, für „eine gewisse Zeit“ ein „Krisenmanagement“ im Kulturbereich zu finanzieren.

Dazu gehörten allerdings auch „klare Zielvorgaben“ von Seiten Berlins für eine grundlegende Strukturreform auf diesem Gebiet, sagte Weiss. Das müsse bei der Neuverhandlung des Hauptstadtkulturvertrages für die Zeit nach 2004 verabredet werden. „Man kann aber nicht zulassen, dass der Bund zum Vorwand genommen wird, nichts zu tun. Wir haben einen ernst zu nehmenden Föderalismus.“