Hart gegen die Verlierer

Die rechte französische Regierung legt ihr Gesetz über die „innere Sicherheit“ dem Parlament vor. Im Visier stehen die Armen: Bettler, Obdachlose, Nichtsesshafte, Hausbesetzer und Prostituierte. Letztere gehen jetzt dagegen auf die Straße

„Wenn ihr uns kriminalisiert, wird unser Leben noch gefährlicher“

aus Paris DOROTHEA HAHN

Mehr Sicherheit – das hatten die Rechten und die Rechtsextremen im französischen Wahlkampf versprochen. Sechs Monate danach liegt jetzt ihr Gesetzespaket „über die innere Sicherheit“ dem Parlament vor.

Es schafft zahlreiche neue und teilweise hart bestrafbare Vergehen – darunter: Zusammenrottungen in Treppenhäusern, aggressive Bettelei, passive und aktive Anmache sowie Hausbesetzungen. Und es sieht weit gehende neue Befugnisse für die Polizei vor – sie reichen von Durchsuchungen ohne richterliche Befehle bis hin zu der lebenslänglichen Aufbewahrung von Fahndungsdaten wie Fingerabdrücken – jenseits aller Verjährungsfristen. Nebenbei macht das Gesetz die im Herbst 2001 als vorübergehend geplanten Antiterrormaßnahmen zum Dauerzustand.

Innenminister Nicolas Sarkozy, der starke Mann der Regierung, bezeichnet die Sicherheit als „Grundrecht“ sowie als „erste aller Freiheiten“. Darauf hätten vor allem die „bedürftigen Franzosen“ einen Anspruch.

Das Gesetz enthält fünf große Kapitel. Unter anderem benennen sie die alten und neuen Delikte, die es künftig zu verfolgen gilt, um das Leben der „Bürger im Alltag“ zu verbessern. Seit gestern Abend liegt das Paket dem überwiegend konservativen Senat vor. Nach dessen Abstimmung, die voraussichtlich Mitte November stattfindet, geht das Paket in die Nationalversammlung. Dort verfügen die Rechten seit dem Frühsommer über eine überwältigende Mehrheit. Voraussichtlich wird das Gesetz Anfang 2003 in Kraft treten. Trotz der heftigen Proteste.

Richter- und Anwaltsgewerkschaften sorgen sich vor allem über die Unterwanderung von demokratischen Grundrechten, wie das Prinzip der Unschuldsvermutung und der Verjährung von Straftaten. Auch die Ausweitung der Polizeivollmachten macht ihnen Sorgen. Die staatliche Konsultativkommission für die Menschenrechte teilte Innenminister Sarkozy mit: „Es besteht die Gefahr, dass die Repression zunimmt und die Kontrollen enorm ausgedehnt werden, ohne dass sich dadurch die Sicherheit verbessert.“

Tatsächlich ist Frankreich nach den regierungseigenen Statistiken nicht unsicherer als seine Nachbarn. Das Land verfügt zudem seit langem über eine höhere Polizeidichte als Deutschland und Großbritannien. Zusätzlich hat die Regierung bereits in diesem Sommer eine massive Aufstockung von Personal und Finanzen ihrer Polizei entschieden.

Die ersten Opfer des neuen Gesetzes werden die sozial Schwächsten in Frankreich sein: Prostituierte, Nichtsesshafte – darunter vor allem Roma aus Rumänien, Hausbesetzer und Bettler, die „aggressive Methoden“ benutzen. Prostitutierte, die Kunden „aktiv oder passiv anmachen“ – ganz egal, ob dies durch „Kleidung oder Benehmen“ (O-Ton des Gesetzentwurfes) geschieht –, riskieren Gefängnisstrafen von bis zu sechs Monaten und Geldstrafen über mehr als 3.000 Euro. Wenn sie dazu noch das Pech haben, Ausländerinnen zu sein und keine Papiere zu haben, können sie umgehend abgeschoben werden.

Die Stigmatisierung dieser Personengruppen ist der meistkritisierte Punkt in dem Gesetzespaekt. Die Prostiuierten in Frankreich, die seit beinahe 25 Jahren nicht mehr auf die Straße gegangen sind, haben bereits eine erste nationale Demonstration mit rund 200 Teilnehmerinnen organisiert. Vor den Toren des Senats, der mit besonders vielen alten Männern besetzt ist, skandierten sie: „Wenn ihr uns kriminalisiert, wird unser Leben noch gefährlicher.“ Unverhohlen drohten einige der maskierten Demonstrantinnen dem Innenminister auch mit Nachforschungen über sein eigenes Nacht- und Sexleben. „Pass auf, Sarkozy“, rieten sie ihm.

Auch Papierlose in Frankreich, die angesichts ihrer materiellen Lage gleich in mehrere Kategorien des Gesetzes fallen können – Bettler, Hausbesetzer – haben bereits dagegen protestiert. Die anderen betroffenen Minderheiten halten sich zurück. An Stelle der rumänischen Roma ist jetzt der populärste aller Franzosen in die Bütt gestiegen. Der heute 90-jährige Armenpriester Abbé Pierre sagte, statt die Armen und die Bettler zu verfolgen, sollten die Bürgermeister dazu verpflichtet werden, ihnen eine menschenwürdige Arbeit und eine Unterkunft zu geben.