Im Magen des Bundestags

Hungrig, wie sie sind, essen unsere Abgeordneten einfach alles, was in sie hineingeht

Dem Beobachter bietet sich zur Fütterungszeit in der Kantine ein einziges Bild des Jammers

Im Naturkost-Magazin Schrot & Korn war unlängst schwer Verdauliches über die Bundestagskantine zu lesen. Da klagte die Grüne Antje Vollmer: „Von gesunder und moderner Ernährung kann keine Rede sein.“ – „Kein Wunder“, schreibt das Blatt, wurden beispielsweise in der Cafeteria „hauptsächlich Buletten, Schnitzel und Würstchen“ feilgeboten. So herrschte dort stets „gespenstische Leere“, nur den Kanzler konnte man zuweilen dabei beobachten, wie er im Flüsterton Fleischernes „mit viel Jäger“ verlangte.

Auch nach einer Initiative der Grünen für biowaffenfreie Speisenauswahl habe sich zur Fütterungszeit ein Bild des Jammers geboten: „Nur ein müdes Klappern aus der Küche verrät, dass da Menschen tätig sind“ – „trotzdem“ durften Journalisten im Magen des Bundestags nicht fotografieren: „zum Schutz der Privatsphäre der Abgeordneten beim Essen“. Wer will schon ein Standbild von Wolfgang Thierse beim Verzehr eines Freilandeier-Salats? Dass jedoch gelegentlich nicht nur das Auge, sondern auch die Ohren mitessen, ist zweifelsfrei bewiesen, seit Spiegel-Reporter im Bundestags-Restaurant am Nachbartisch Helmut Kohls tafelten und seinem „Göring“-Geplauder lauschten.

Aber „eine gute Mahlzeit ist manchmal das beste Mittel gegen Stress und ein kleiner Trost in politisch aufregenden Zeiten“ (www.bundestag.de). Daher betreibt nun „der deutsche Service-Tycoon“ (WDR) Peter Dussmann die Kantine im Jakob-Kaiser-Haus. Er frohlockt: Um diesen „prestigeträchtigen Auftrag hat die ganze Branche gekämpft“. Offenbar aus Prestigegründen hat er den Speisesaal kurzerhand „Kasino“ getauft – „obwohl“, gibt man online zu bedenken, dieses Wort „wahlweise etwas Militärisches oder Verruchtes hat“. Die Einrichtung kommt dagegen recht abgeordnet daher: „Es gibt drei Kassen, ein Laufband für das schmutzige Geschirr, eine Eistruhe und die langen Buffets, auf denen die Speisen angerichtet sind.“ Nur die gläserne Decke, „die den Himmel freigibt“, ist „bei starkem Regen“ eine „spektakuläre Angelegenheit“.

Der November dürfte also ein viel versprechender Monat für die regierenden Damen und Herren werden, die, sehr volksnah, ihre oralen Vorlieben im Internet preisgeben: So hat sich die SPD-Abgeordnete Heidi Wright auch in kulinarischer Hinsicht vorbildlich dem Sparkurs der Regierung angepasst und empfiehlt „Arme Ritter“ aus „altbackenen Brötchen“. Sie sucht das Kasino auf, „um innezuhalten und Leib und Seele wieder zusammenzubekommen“.

Im Arbeitsleben von Martina Krogmann, Internetbeauftragte der Union, gibt es „Situationen“, die ihr „Selbstbeherrschung abverlangen“, denn „die Müdigkeit“ nach einem Dussmann’schen Drei-Gänge-Menü ist „ganz und gar nicht das“, was sie „an arbeitsreichen Tagen braucht“. Ihre Liegt-leicht-im-Magen-Empfehlung: „Pfannkuchen mit Nutella obendrauf.“ Die Grüne Irmingard Schewe-Gerigk fühlt sich hingegen im Kasino „gut aufgehoben“: „Ich esse mit den Augen und entscheide an den Buffets.“ Schon ein schlichter Möhreneintopf ist der Mit-den-Augen-Esserin eine sinnliche Befriedigung. Und Gustav-Adolf „Täve“ Schur von der PDS-Fraktion, ehemaliges Radsport-Idol der DDR, „fürwahr ein Verfechter gesunder Ernährung“, aber süßen Sachen nicht abhold, schwärmt für das Zahnlosen-Menü „Holundersuppe und Grießbrei mit Pflaumenmus“.

Die alte Socke Peter Hintze, europapolitischer Sprecher der Union, der in seiner Stammzelle im Jakob-Kaiser-Haus vermeintlich „großen inhaltlichen wie organisatorischen Aufwand“ betreibt, gibt sogar zu: „Wer die Bundestagsdebatten im Fernsehen verfolgt, könnte angesichts der meist nur geringen Präsenz den Eindruck gewinnen, dass wir Abgeordneten lieber in der Kantine sitzen.“ Tatsächlich sollen es ihm besonders die „Neger-, äh, Schaumküsse“ angetan haben, unzählige soll er während der „kurzen Verschnaufpausen“ genüsslich vertilgt haben: Mann, ist der Dussmann! Bleibt nur zu hoffen, dass keiner dieser unnützen Esser jemals bei Alfred „So-ein-Entenarsch-ist-schnell-gerupft“ Biolek hinterm Herd steht. TANJA KOKOSKA