Zwischenstopp am Kloster

Zum Abschied ein Lied: „Eins, zwei, Polizei …

von DINAH MÜNCHOW
und STEPHAN LISKOWSKY

Hier ist der Himmel nah. Die Wolken sind schwer und hängen tief – über dem buddhistischen Kloster Igolwinsky Datsan, achtzig Kilometer östlich des Baikalsees. Ringsherum weite, hügelige Graslandschaften, dazwischen ein paar Holzhütten.

Die Miene unseres Fahrers ist regungslos – wie aus Stein. Kein Blick zur Seite während der Fahrt, kein Wort kommt über die dünnen Lippen, als wir aus dem alten Wolga steigen und dem Mann einen Zehnrubelschein in die Hand drücken.

Umso lebensfroher erscheint uns das Kloster. Es ist über und über bemalt, vor dem Haupteingang liegen bunte Steinlöwen, neben dem Klosterzaun spielen kleine burjatische Jungs Fußball.

Lama-Anwärter Dschingis, der uns in seinem orangefarbenen Gewand durch das Kloster führt, sitzt der Schalk im Nacken. Auf unserem Weg dreht er immer wieder die riesigen Gebetstrommeln, die überall im Kloster stehen. Tausende mit Gebeten beschriebene Papierschnipsel sind darin eingeschlossen.

„Durch das Drehen kann der Wind sie für uns lesen“, erklärt Dschingis begeistert und duckt sich schnell. Fast hätte ihn der Hebel der drehenden Tonne getroffen. „Wer von einer Gebetstrommel erschlagen wird, kommt wahrscheinlich direkt ins Paradies“, grinst er.

Neben den Trommeln steht eine kleine Blockhütte ohne Fenster, darin sitzt seit anderthalb Monaten ein Mönch und meditiert ohne jede Ablenkung, erzählt Dschingis. Dann schweigt er ziemlich unvermittelt und stimmt einen Gesang an. Ein sonores Dröhnen, das er tief unten im Hals erzeugt. Dschingis wird rot dabei, dann schnappt er nach Luft und sagt, er müsse noch trainieren. Derartiges Singen ist nicht ungefährlich; bei Zeremonien seien schon Mönche umgekippt, manche seien tot gewesen. Wir sollten das bloß nicht nachmachen. Darauf lacht er wieder.

Dschingis ist 23 und lebt seit einem Jahr in Igolwinsky. Noch zwei Jahre studiert er in der Klosterschule, danach möchte er Lama, später Mönch werden. Viele schaffen das nicht, sie scheitern an den Hieroglyphen des Altmongolischen und den langen sibirischen Wintern. Doch Dschingis fühlt sich auserwählt und beißt sich durch.

Dann müssen wir los – Richtung Ulan Ude, damit wir das Flugzeug nach Deutschland nicht verpassen. Dschingis stimmt zum Abschied noch einmal ein Lied an: „Eins, zwei, Polizei, drei, vier, Grenadier …“

„Das Lied war hier in der Disko ein großer Hit“, strahlt er. Lachend und ein bisschen verwundert verlassen wir das Kloster.

Sibirien, das angeblich unwirtliche Ende der Welt, wir vermissen es schon jetzt.