Kritik? Unerwünscht!

Mit taz-Korrespondent Klaus-Helge Donath wird erstmals ein Auslandsjournalist in Russland verklagt

Ode an Putin: „Ist deine Seele mit ihm in leidendem Bunde?“

von BORIS SCHUMATZKY

Seit Wladimir Putins Machtantritt wird die Redefreiheit in Russland Schritt für Schritt eingeschränkt. Immer öfter werden Journalisten und Bürgerrechtler unter Druck gesetzt oder zu langjährigen Gefängnisstrafen verurteilt. Bis jetzt gingen die Geheimdienste und das Presseministerium allein gegen russische Staatsbürger vor. Am 12. November steht Klaus-Helge Donath als erster ausländischer Journalist vor Gericht. Der Moskau-Korrespondent der taz wird unter anderem vergeklagt, Präsident Putin beleidigt zu haben. Sollte das Gericht dieser Klage nachkommen, wird zum ersten Mal seit dem Zusammenbruch der UdSSR ein Vertreter einer ausländischen Zeitung für seinen kritischen Artikel verurteilt.

Der Moskauer Prozess gegen die taz fällt mit einer Kampagne gegen die Meinungsfreiheit zusammen. Am 1. November, kurz nach der Geiselnahme im Moskauer Theater Nord-Ost, verabschiedete die Staatsduma eine Reihe restriktiver Gesetzesänderungen im liberalen Pressegesetz. Streng genommen schränken die meisten Gesetzesänderungen die Berichterstattung allein während der Antiterroroperationen ein, wie etwa der jüngsten Geiselbefreiung. Aber auch der Krieg in Tschetschenien, der offiziell „Konterterroroperation“ heißt, kann für die russische Presse zum Tabu werden.

Noch während der Regierungszeit Boris Jelzins machten sich Staatssicherheit und Militär daran, ihre während der Perestroika und Glasnost verlorenen Positionen zurückzuerobern. 1995 wurde in St. Petersburg der Journalist Alexander Nikitin verhaftet, der einer norwegischen NGO angeblich geheime Dokumente über die Entsorgung der alten Reaktorblocks der russischen U-Boote übergeben hatte. Obwohl Nikitin diese Dokumente in einer Bibliothek ausgeliehen hatte, musste der Journalist jahrelang in Untersuchungshaft verbringen, bis er am 29. Dezember 1999 freigesprochen wurde. Zwei Tage später reichte Jelzin die Regierungsmacht an Putin weiter.

Das Regierung Putins brachte inzwischen die meisten freien Medien unter seine Kontrolle. Als erstes fiel dem Regierungsfeldzug gegen die Redefreiheit das Fernsehen zum Opfer. Der Kreml wechselte die Intendanten staatlicher TV-Sender aus. Der unabhängige Sender NTW, der Putins Tschetschenienkrieg scharf kritisiert und sich in der Puppenshow „Kukly“ über den Präsidenten lustig gemacht hat, wurde dem Medienmagnaten Gussinski weggenommen und unter die Kontrolle der Regierung gestellt. Die wenigen unabhängigen russischen Printmedien wagen es nicht mehr, den Präsidenten zu kritisieren. Für Boris Jelzin war die Pressefreiheit noch eine heilige Kuh. Die ständig betrunkene und etwas dämliche Jelzin-Puppe in der „Kukly“-Show brachte den ersten russischen Präsidenten immer in Rage, dennoch ging NTW regelmäßig auf Sendung.

Klaus-Helge Donath widmete dem aufkeimenden Kult um die Person des Präsidenten einen Beitrag in der taz. Donath erwähnte dabei eine Ode, die der Student Michail Anitschenko aus Tscheljabinsk im Ural Putin widmete. Der Student fühlte sich beleidigt und ging vor Gericht.

In seinem Artikel „Kim Il Putin lässt sich feiern“ (taz vom 7. 5. 2001) schrieb Donath über ein neues Gesellschaftsspiel „Präsident – Patriot“, in dem die Figur des Präsidenten „jedem Patrioten zu Hilfe eilen“ kann. „Einer von ihnen“, so Donath weiter, „könnte der parteilose Student Michail Anitschenko aus Tscheljabinsk sein, der seinem Idol eine Ode widmete: ‚Sag mir, Russland, antworte auf die Frage / warum nur dem Präsidenten du vertraust? / und spürst keine Tränen, wenn in die Augen ihm schaust / ist deine Seele mit ihm in leidendem Bunde? Die Aufzeichnung der vertonten Orchesterversion bestritt der Student aus eigenen Mitteln.“ In dieser Passage, so Anitschenko in der Klageschrift, habe ihm die taz unterstellt, von Putin für das Lied bezahlt worden zu sein. Anitschenko bezieht sich dabei auf die russische Übersetzung des Artikels, die ohne Genehmigung der taz auf der Website Inopressa.ru veröffentlicht wurde. Diese Übersetzung enthält eine Reihe von Fehlern (so steht gleich in der Überschrift „Kim der zweite Putin“). Doch auch der russische Text bietet nicht mehr Anlass für die Klage.

Der Student forderte in seiner ersten Klageschrift Schmerzensgeld und eine Berichtigung in der taz. Nach der Vertagung der ersten Gerichtsverhandlung wurde eine neue Klageschrift eingereicht. Dort heißt es: Der taz-Korrespondent habe seinen Artikel mit der Absicht geschrieben, einen Bürger der Russischen Föderation und seine patriotischen Gefühle zu kompromittieren. Schließlich folgt die Behauptung, Klaus-Helge Donath habe die Redefreiheit dazu missbraucht, den Präsidenten Russlands zu beleidigen. Der Schwere der Klage entspricht auch der erweiterte Forderungskatalog: Das Gericht soll das russische Außenministerium dazu auffordern, Klaus-Helge Donath nicht bloß seine Akkreditierung zu entziehen, sondern seinen Aufenthalt in der Russischen Föderation zu verkürzen. Die amtliche Regierungszeitung Rossijskaja Gazeta ergriff Partei und schrieb, es gehe in diesem Fall auch um die Ehre „unseres Präsidenten“, der die Kassette mit der Vertonung von Anitschenkos Ode persönlich erhalten habe.

Beim Prozess am kommenden Dienstag vor dem Moskauer Gagarin-Gericht wird nicht nur darüber verhandelt, ob der taz-Korrespondent die Pressefreiheit missbraucht und Putin beleidigt haben soll. Es droht auch ein neuer Schritt in der Demontage der Pressefreiheit: Die Korrespondenten ausländischer Sender und Zeitungen blieben bis jetzt von der Medienpolitik des Kremls verschont. Sollte sich das mit dem Prozess gegen Klaus-Helge Donath ändern, werden sicherlich bald neue Fälle folgen.