Bühne frei für neue Wertschöpfung

In Dresden eröffnen heute Semperoper, Staatsschauspiel und die Sempergalerie der Alten Meister im Zwinger. Die drei Landeseinrichtungen haben sich zwecks professionellen Marketings zu einem „Kulturquartier“ zusammengeschlossen

DRESDEN taz ■ Die Dekoration steht noch heute so auf der Bühne, wie sie zur geplanten Spielzeiteröffnung am 13. August aufgebaut worden war. In der Nacht zuvor stürzte damals das Wasser vom Erzgebirge herab – und die Dresdner Semperoper in die schwerste Krise seit ihrem Wiederaufbau 1985. Heute wird John Neumeiers „Schwanensee“-Choreografie mit vierteljährlicher Verzögerung zur Wiedereröffnung auf dem Programm stehen.

Aufatmen nicht nur bei den Künstlern, sondern auch bei der sächsischen Landesregierung. Denn mit der Oper öffnet an diesem 9. November auch die Sempergalerie der Alten Meister nebenan im Zwinger wieder. Wochenlang sah das „Heiligthum der Kunst“, so eine Inschrift, wie bei einem Umzug aus, nachdem vor Monaten rund 4.000 Gemälde in einer beispiellosen Rettungsaktion aus den Kellerdepots nach oben geschafft worden waren. Das ebenfalls nur drei Fußminuten entfernte Staatsschauspiel war schon Ende September ins Stammhaus zurückgekehrt. Noch ist in allen Häusern der Betrieb nur eingeschränkt möglich. Täglich wird repariert, damit man im Februar 2003 voll spielfähig ist.

Mehr als die tatsächlichen Flutschäden bereitet dem Freistaat als Träger der drei Einrichtungen der Imageverlust die größten Sorgen. „Der Tag, an dem die Meldung verbreitet wurde, Semperoper und Zwinger seien aufgegeben, war fatal für Dresden!“, resümiert Opernintendant Christoph Albrecht. Auf makabre Weise wies das Hochwasser die Richtigkeit einer Studie aus dem Jahr 1997 nach, die 350 Millionen Euro indirekter Wertschöpfung jährlich durch die kulturelle Anziehungskraft der Stadt behauptet hatte; die Gäste kommen eben nicht wegen des ostdeutschen „Silicon Valley“ und auch nicht wegen des gläsernen Tempels von VW.

Minus 17 Prozent Buchungen, lautet inzwischen eine offizielle Zahl des Tourismus- und Gaststättengewerbes. In den ersten Wochen nach dem Hochwasser klangen die Stornierungsabsichten noch weit dramatischer. Es zeigte sich außerdem, dass die „Kleinen“ der Dresdner Kulturszene im Fahrwasser der großen Flaggschiffe segeln, auch wenn sie sich zu Recht in den Hochglanzbroschüren unterrepräsentiert sehen. Dresden ist trotz einer unterentwickelten freien Szene mehr als der barocke Touristenlaufstall. Schließlich lehrte die Flut auch, dass Ausweichspielstätten nur bedingt angenommen werden. Ausnahmen bildeten Horváths „Jüngster Tag“ in Hellerau zum Spielzeitauftakt des Schauspiels oder „Carmen“ in der VW-Manufaktur.

Für Sachsen wirbt bereits eine bundesweite Aktion mit 30.000 Plakaten. In Dresden haben sich nun die Landeseinrichtungen Semperoper, Staatsschauspiel und Kunstsammlungen zu einem „Kulturquartier“ zusammengeschlossen. Eine gut harmonierende Intendantenrunde gibt es in Dresden seit längerem. Den drei Partnern geht es nach den Fluteinbrüchen um Synergieeffekte und ein gemeinsames Marketing. So bieten sie nacheinander im „Kulturquartier“ am 9. November Eröffnungsveranstaltungen, die alle mit einem Sonderticket für nur 15 Euro besucht werden können: der Form nach ein Quadrat, dessen vierte Ecke einen Rabatt auch auf die Wiederaufbaukonzerte in der Frauenkirche gewährt.

MICHAEL BARTSCH