Keine Rückkehr ins alte Bett

Als hätte die Natur nicht gewarnt, werden die Wasserläufe in Sachsen mit Kiesmassen und Betonstützmauer in ihr gewohntes Korsett gezwängt

aus Dresden MICHAEL BARTSCH

Ob denn beim Wiedereinrichten der Semperoper etwas anders gemacht werde? Sensible Haustechnik etwa aus den Kellern verlagert werden könne? Wolf-Karl Reidner, im sächsischen Finanzministerium für den Staatshochbau zuständig, antwortet mit durchaus ernster Miene: „Unter das Dach können wir sie auch nicht montieren, da besteht Gefahr durch Terrorangriffe!“

Flugzeuge von oben, Wasser von unten – der Fatalismus beim Wiederaufbau in Sachsen erinnert an den alten Dresdner Erich Kästner: „Leben ist immer lebensgefährlich!“ Ob bei öffentlichen Gebäuden, Flussläufen oder der Infrastruktur – in den meisten Fällen wird der Status quo ante wiederhergestellt. „Was sollen wir sonst tun?“, meint der Hausmeister der Dresdner Hofkirche, wo die Weißeritz durch die Kanalisation eingedrungen war und die Särge der Wettiner in Schauergondeln verwandelte. „Jetzt ist das Geld da, und jetzt muss alles so schnell wie möglich wieder funktionieren.“

Äußerlich funktioniert das öffentliche Leben auch immer besser, im Hotel- und Gaststättengewerbe und der Kultur zu 95 Prozent. Dank zahlreicher Behelfsbrücken und provisorischer Schotterstraßen sind Schadensgebiete zumindest für Anwohner erreichbar. Auch der ICE aus Leipzig erreicht nun wieder Dresden.

Für die Bewohner etwa 300 total zerstörter Häuser aber haben Rilkes Herbstzeilen „Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr …“ makabre Dimensionen angenommen. Wer noch eines hatte nach der Flut, kehrt mit sehr unterschiedlichen Erfahrungen teilweise erst jetzt zurück. Manche Mieter fühlten sich von den Hauseigentümern im Stich gelassen und schlecht informiert. Andere ließen dagegen bei Wohngebietsfesten mit Helfern und Anwohnern reichlich Bier fließen. „Dank allen Helfern“ steht auf vielen Transparenten hinter Schaufensterscheiben. Neben der Erinnerung an die abebbende Solidaritätswelle kündet ein kleineres Schild „Wir machen weiter“ manchmal von ungebrochenem Mut: etwa an einem Haus in Königstein, wo Zahnärztin Ingrid Hentschel in den Augusttagen ihre Praxis noch resigniert aufgeben wollte.

Unbelehrbar?

Doch jede Rückkehr stellt im Grunde die Frage nach einer möglichen Wiederholung der Katastrophe: am Auslauf der Talsperre Klingenberg zum Beispiel, deren Überlaufen in der Nacht des 12. August die Flutwelle an der Wilden Weißeritz auslöste. Erst vor einer guten Woche kehrte Familie Gey in die ehemalige Mühle zurück, „aber getan hat sich hier noch nichts“. Hier lassen sich klassische Umweltsünden im Umkreis von nur hundert Metern ablesen. Die neue Straßenbrücke zwängt die Weißeritz und den ehemaligen Mühlgraben in enge Rohre. Im Zuge des Brückenbaus 1992 wurde das Niveau des Hofs angehoben und das Gelände um das Haus komplett mit Asphalt versiegelt. Und 1998 wurde ausgerechnet der kleine Mäander gegenüber mit einer Müllkippe zugeschüttet. Zu einer solchen entwickelte sich mehr und mehr auch der Bach längs des Straßendorfs Klingenberg. Seine eigentlich schon 1996 vom Regierungspräsidium angewiesene Pflege unterblieb. Die Folge: Noch vor der eigentlichen Weißeritzflut hatten die Geys überschwemmte Keller.

Neben Wissenschaftlern und dem BUND fordert auch Sachsens Umweltminister Steffen Flath (CDU) dazu auf, zerstörte Gebäude nicht wieder in gefährdeten Gebieten zu errichten und den Wasserläufen mehr Raum zu gewähren; in ausgewiesenen Überschwemmungsgebieten darf nicht mehr neu gebaut werden. Aber der Regierungsentwurf des Wiederaufbau- und Hochwasserschutzgesetzes richtet sich vor allem auf Bestandsschutz. In der Güterabwägung etwa bei der Anlage von Gewässerrandstreifen stehen Naturschutzbelange meist hintenan.

Für die präventiv notwendige Entsiedlung gefährdeter Gebiete aber gibt es kaum rechtliche Voraussetzungen. Finanzielle auch nicht, denn die dann fälligen Ausgleichszahlungen hat noch niemand berechnet. Versicherungen verlangen in vielen Fällen, dass am Schadensort wieder gebaut oder repariert wird. Erstaunlich viele Totalgeschädigte wollen das auch. Sogar im schwer getroffenen Weesenstein, wo die Müglitz ihr altes Bett über die Schulstraße suchte und ein Dutzend Häuser wegriss. Unbelehrbar oder unverdrossen?

„Wir können ihr nicht das alte Bett zurückgeben, wenn hier 300 Jahre alte Häuser stehen“, sagt Günther Büschel, dessen kleine Pension von 1702 „nur“ überflutet wurde. Von einem Wiederaufbaukonzept für den Ort weiß er noch nichts. Eine große, kräftige Betonstützmauer solle den Ort schützen, offenbart er altes Denken. Ohnehin sind in Weesenstein und andernorts schon Tatsachen geschaffen worden, indem die Wasserläufe mit Kiesmassen wieder ins gewohnte Bett zurückgezwungen wurden.

„Eigentlich gehört auf jeden Bagger ein Naturschutzfachmann“, meint Sprecher Dirk Reelfs vom sächsischen Umweltministerium. Und kann man die unterirdischen Drainagesysteme des Erzgebirges einfach rückbauen und damit die landwirtschaftliche Nutzung stark einschränken? Sie und die zahlreichen Flussbegradigungen sind für den ungebremsten Wasserabfluss verantwortlich. In Fragen, die Präventivmaßnahmen betreffen, stößt man im Umwelt- und dem Innenministerium oder beim Wiederaufbaustab der Staatskanzlei auf Ratlosigkeit.

Exemplarisch dafür steht das 1992 errichtete Gewerbemischgebiet Röderau-Süd nahe Riesa. „Wenn wir entschuldet und entschädigt würden, wären wir hier alle weg“, klagt verbittert Bodo Schollar, eigentlich ein Brandenburger, der 1995 hier gebaut hat. Niemand hätte das getan, meint er, wäre man über die Hochwasserrisiken informiert worden. Denn das Gebiet liegt mitten in der Elbaue, die zu DDR-Zeiten strikt freigehalten wurde. Grimmig lacht Bodo Schollar über Bemühungen, den auf einmal lächerlich erscheinenden Deich mit dünnem Kies zu flicken. „Da gibt es nur eines: Rückbau und Bestrafung der Schuldigen!“

Schuldig sei die damalige Gemeindeverwaltung, aber auch das seinerzeit von Arnold Vaatz geführte sächsische Umweltministerium. Das Gebiet sei nicht mehr als Flussaue zu betrachten, erklärte es damals. Wie üblich, versucht das Innenministerium nun das Dilemma durch eine Arbeitsgruppe und ein externes Gutachten zu lösen. Soll man einen gewaltigen Ringdeich um den Ortsteil legen? Die Bewohner wissen nicht mal, wo sie den Winter verbringen sollen.