Zersäuselte Narren

Müdes Spektakel: das Musical „La Cage aux Folles“ am Bremerhavener Stadttheater

Hier werden die schönen und scharfen Pointen reihenweise verschenkt

Man kann ein Musical auch kaputtinszenieren, selbst ein so widerstandsfähiges, gut gebautes wie „La Cage aux Folles“ (Ein Käfig voller Narren) – und das ist besonders enttäuschend, wenn es an einer Bühne geschieht, die wenige Jahre zuvor mit demselben Stück glänzen konnte.

Peter Grisebach, Bremerhavens Stadttheater-Intendant, hat wiederholt bewiesen, dass er als Regisseur für Musicals kein Händchen hat. Die Leichtigkeit, die da gefordert wird, ist nicht seine Sache, und die Zwischentöne, von denen Harvey Fiersteins Narrenkäfig lebt, verlangen einen erfahrenen Schauspiel-, keinen Opernregisseur. Die beiden alternden Schwulen, der Nachtclubbesitzer Georges und sein Star Albin alias Zaza, sind auch in der Musical-Version Charakterrollen für Schauspieler.

Michel Serrault hat erst auf der Bühne und später in der Verfilmung des zugrundeliegenden Theaterstücks meisterhaft vorgeführt, wie in der Figur der exentrischen Zaza feinste Komik mit Melancholie und Zerbrechlichkeit zusammengehen. In Bremerhaven spielt Hans Neblung den Transvestiten Zaza. Seit seiner Rolle als Frank N Furter in der unvergessenen „Rocky-Horror-Show“ ist er ein Lieblingskind des lokalen Entertainments, aber für die alternde Diva fehlen ihm sowohl das Mindestalter als auch die spielerische Begabung.

Tomas Kyptas farbenprächtige Kostümierungen können weder ihm noch den anderen weiterhelfen. Neblung zersäuselt den tuntigen Albin so angestrengt und aufgesetzt, dass schon mit dieser Zentralfigur der Käfig voller Narren zur Klamotte voller Klischees verflacht. Immerhin: Wenn Neblung allein an der Rampe steht und den Titelsong „Ich bin, wer ich bin“ singt, hat er einen starken Auftritt, weil er hier mehr hineinlegt als nur die Stimme. Es ist der einzige Augenblick an diesem zweieinhalbstündigen Abend, in dem man so etwas wie Herzblut zu spüren glaubt.

Grisebach setzt sehr äußerlich auf die Wirkung opulenter Ausstattung, auf üppig ausgemalte Prospekte, wuchtige Säulen, Drehbühnenspiele, Showtreppeneinsatz und Nachthimmel (Bild: Susanne Sommer). Nichts dagegen, aber das alles reicht nicht aus. Was den Narrenkäfig im Innersten zusammenhält, ist nicht die operettenhafte Musik von Jerry Herman, die mit den Jahren altersgrau geworden ist, und die Florian Pestell am Pult des Städtischen Orchesters unbestimmt verplätschern läßt, statt sie zupackend aufzufrischen.

Was noch immer bewegen kann, sind die Figuren und die Story. Dass Nachtclubchef Georges einen Sohn hat, der ausgerechnet die Tochter eines hammerharten wertkonservativen Politikers und erklärten Schwulenfeinds heiraten will, und dass die saubere Familie überraschend bei Georges und Albin anrückt, um die elterliche Umgebung des Schwiegersohns zu inspizieren: Dies und die Folgen ermöglichen einen funkensprühenden, deftigen wie hintergründigen Witz.

Aber hier werden die schönen und scharfen Pointen reihenweise verschenkt: Die Akteure müssen ausnahmslos hölzern chargieren. Dem Politiker Edouard wird vom Opernsänger Klaus Damm als harmloser alter Trottel der Giftzahn gezogen, Bruno Mora darf als frivoler Butler Jacob seinen Bauch zeigen, Rainer Gaul zeigt als Sohn Jean-Michel nicht mehr als sängerische Qualitäten, und Albrecht Dennhardt – als Gast – gibt Georges so verkrampft und stocksteif, dass man sich fragt, wann er seinen Albin /Zaza jemals geliebt haben will. Sein mehrfach wiederholtes gesungenes Bekenntnis „Ich bin jung und verliebt“ ist unfreiwillig komisch.

Auch die Damen und Herren des Balletts können trotz hübscher Drehungen zu Cancan-Rhythmen an diesem traurigen Bild wenig ändern. Und die Tänzer, die sich auf hockhackigen Schuhen als peitschenknallende Dominas herumquälen müssen, sind von wilden Drag-Queens weit entfernt.

Beim großen Teil des Premierenpublikums kam das müde Spektakel offenbar anders an: Travestie als schenkelklopfende Lachnummer im dümmsten Boulevardtheaterstil liegt offenbar wieder im Trend.

Hans Happel

Stadttheater Bremerhaven, Großes Haus. Vorstellungen am 13., 14. November, 5., 14., 28., 31. Dezember