Ein Brasilianer unter Plagiatsverdacht

Das Fehlen von Spielgestalter Marcelinho verkraftet Hertha BSC beim 3:1 über Hansa Rostock überraschend gut, weil Landsmann Alex Alves in die Bresche springt. Und auch gepflegtes Spiel eines ganzen Teams ist wieder zu sehen

Der Umstand, dass Bundesligaspieler nach fünf gelben Karten ein Spiel lang pausieren müssen, führte gestern zur brisanten Situation, dass Herthas Spielführer, Antreiber, Ideengeber und Torjäger beim Spiel gegen Hansa Rostock draußen blieb. Das Prinzip Marcelinho hat bei Hertha BSC im Verlauf der Saison hervorragend funktioniert, und zwar so gut, dass die restliche Mannschaft allzu oft zu Statisten und Ergänzungsspielern degradiert schien. Ihnen blieb, wenn Marcelinho aufdrehte und das Spiel an sich riss, nur noch die Rolle von Adjutanten der Nummer 10 und Domestiken des spielbestimmenden Brasilianers.

Doch wegen der Sperre saß Marcelinho auf der Tribüne und der Hertha-Elf die Öffentlichkeit im Nacken. Ein gut Teil der 45.000 Zuschauer im Berliner Olympiastadion fragte sich, ob sich das Team von Trainer Huub Stevens vom Prinzip Marcelinho emanzipieren kann, ob Stefan Beinlich die Macht im Mittelfeld zu übernehmen vermag und auch ohne den Spiritus Rector Punkte herausspringen. Immer wenn der Brasilianer traf, war Hertha BSC vor einer Niederlage gefeit. Das Ergebnis beweist: Es geht ohne Marcelinho. Das 3:1 am Sonntag bringt Hertha BSC auf Tabellenplatz sieben.

„Ich glaube, dass andere Spieler die Verantwortung übernehmen müssen, wenn Marcelinho fehlt“, hatte Manager Dieter Hoeneß lapidar vor dem Spiel gesagt. „Das ist dann ihre Chance.“ Von Beginn an spielten die Berliner, als hätten sie die Worte von Hoeneß gehört und als verunsichere sie das Fehlen von Marcelinho überhaupt nicht.

Hertha drängte mit Pässen in die Spitze, Alex Alves überraschte durch flotte Antritte und gepflegtes Doppelpassspiel. Eine solche Kombination mit Thorben Marx leitete in der 7. Minute das 1:0 ein. Alves brachte sodann seine vermutlich erste gelungene Flanke dieser Spielzeit auf den Kopf von Bart Goor: Treffer. Doch damit nicht genug.

Kaum dass sich Hansa Rostock vom schnellen Gegentor erholt hatte, netzte Alves schon wieder ein. Um ein Beispiel aus dem Radsport zu zitieren: Wenn Radprofis keiner Stallorder unterliegen, zeigen sich Edelhelfer, manchmal sogar Wasserträger, zu außergewöhnlichen Leistungen fähig – und blühen förmlich auf.

Schlag auf Schlag ging's weiter. Die erste Torgelegenheit für Hansa Rostock nutzte Bachirou Salou gleich zum Anschlusstreffer in der 14. Minute. In der Folge suchte Hertha im Mittelfeld nach Stabilität. Wie erwartet tat sich nach Beruhigung des Spiels eine Leerstelle auf, genau dort, wo Marcelinho die Bälle üblicherweise wie ein Magnet anzieht und für einen Knotenpunkt mit hohem Ballaufkommen sorgt.

Auch der sehr gut aufgelegte Alves, der sich bisweilen tief fallen ließ, auf der linken Seite glänzte und augenscheinlich ein Prinzip Alves etablieren wollte, wirkte da meist nur wie eine schlechtes Plagiat des Landsmanns. Ganz zu schweigen von Stefan Beinlich, der die Lücke, vom Gelbgesperrten hinterlassen, in der ersten Halbzeit nicht füllen konnte.

Nach Wiederanpfiff schien sich Beinlich ein Herz fassen zu wollen, setzte sich gegen Alves bei einem Freistoß durch (beide wollten schießen) und gab in der 58. Minute die Flanke, die zum 3:1 durch einen Kopfball von Arne Friedrich führte – seine Auswechslung (66.) gegen René Tretschok konnte er dadurch aber nicht abwenden.

MARKUS VÖLKER