Kicker auf der Suche nach Kultur

Der Regionalligist SV Babelsberg 03 in der Post-Kaminski-Ära auf der schwierigen Suche nach sich selbst

„Sie waren der beste Präsident“, lobhudelt ein Fan, nachdem er Detlef Kaminski, 48, auf der Tribüne des Karl-Liebknecht-Stadions ausgemacht hat – Kaminski, den charmanten Autokraten mit dem „Douglas-Fairbanks-Bärtchen“ (Süddeutsche Zeitung), der neun Jahre an der Spitze des Vereins stand und ihn von der Bezirksliga in die 2. Liga geführt hat. Im Sommer wurde er aus allen Gremien gewählt. Seine Zeit war abgelaufen. Er lässt es sich aber nicht nehmen, noch immer jedes Heimspiel zu besuchen.

„Ein grottenschlechter Kick“, sagt er nach der ersten Halbzeit gegen Preußen Münster. Es macht Kaminski offensichtlich keinen Spaß zu sehen, wie der flotte Kombinationsfußball, der das Spiel der Schwarz-Weißen lange Zeit prägte, unter Trainer Wolfgang Sandhowe zu verkommen droht. „In einem halben Jahr hat sich sein Handwerk aufgebraucht“, urteilt er. Nach Spielende am Freitagabend steht es trotzdem 2:0, Babelsberg hat nach 342 Tagen wieder einmal zu Hause gewonnen. Kaminski schaut minutenlang gebannt auf den Rasen, als könne er nicht verstehen, wie trotz eklatanter Mängel drei Punkte haben herausspringen können und damit ein Mittelfeldplatz in der Regionalliga Nord.

Für Marc Schulten, 40, den neuen Präsidenten, ist es gewiss nicht leicht, aus dem Schatten seines Vorgängers Kaminski zu treten. Schulten ist ein alerter Bauunternehmer und war zuvor Aufsichtsratsvorsitzender von Babelsberg. Er versucht, den Verein in neue Bahnen zu lenken. „Ich interpretiere den Job ganz anders“, gibt er vor. Das heißt: mehr Absprache und Mitbestimmung, mehr Teamarbeit: „Wir haben ja hier teilweise Strukturen wie andere Vereine in der Kreisliga.“ Kaminski habe zu stark polarisiert, obendrein müsse man schleunigst ein Image prägen. Union Berlin habe seine Schlosserjungs, Hertha ein „Coca-Cola-Image“. Und Babelsberg? Schulten kommt ins Überlegen. „Wie haben hier keine belastende Traditionen“, fällt ihm ein, „nicht so wie der BFC.“

Fußball in Potsdams Park- und Kulturlandschaft zu etablieren, war schon immer ein schwieriges Unterfangen. Der Mannschaftssport mit dem proletarischen Hintergrund scheint in der Stadt der preußischen Könige allenfalls unter Duldung zu stehen. Prominente, die in Scharen die Berliner Vorstadt besiedeln, lassen sich im Liebknecht-Stadion nicht sehen. Keine Spur von Jauch und Borer-Fielding, von Joop oder Kock am Brink. Der Verein könnte ihnen auch nichts bieten, keinen Distinktionsgewinn, keinen Glamourfaktor, keine Kontaktbörse der Schicken und Reichen. Sondern nur ein im Durchschnitt mit 2.800 Zuschauern gefülltes Stadion, deren Fans sich dem linken Milieu zurechnen, die im Block C ein Liebknecht-Banner hissen, sich „Idefix 99“ oder „Babelsberger Höllenzwerge“ nennen.

Schulten will langfristig „mindestens in der Regionalliga“ arbeiten. Für das Ziel muss ein beträchtlicher Schuldenberg abgetragen werden. Dabei hilft, dass die Potsdamer Stadtverordnetenversammlung dem Verein am Mittwoch das Stadion für 168.000 Euro in Erbpacht überlassen hat. In der kommenden Woche wird der Vertrag notariell beglaubigt.

Bleibt das Identitätsproblem. „Man muss vielleicht Sachen zusammenfassen, die noch nie beisammen waren – Fußball und Kultur zum Beispiel“, gebiert Schulten spontan eine Idee. Logische Folge wäre also eine ansehnliche Spielkultur, von der Babelsberg derzeit aber meilenweit entfernt ist. Eine Werbeagentur, die ihre Dienste kostenlos angeboten hat, versucht einen Image-Transfer von den Kiezkickern aus St. Pauli nach Potsdam hinzubekommen. Plakate mit den Schriftzügen „Die Party geht los“ und „The Nightclub“ in Anspielung auf den Spieltermin am Freitagabend wurden geklebt. „Wir dürfen aber auf keinen Fall die moralische Grenze überschreiten, etwa in den obszönen Bereich gehen“, sagt Schulten.

Wohin es wirklich gehen soll, weiß offenbar keiner genau. Schulten forscht im Unbestimmten, ein Projekt, das Kaminski immer fremd war. Der folgte stets seinen eigenen Geboten. „Demokratie funktioniert im Fußball nicht, da braucht es einen harten Hund“, ist so eine Maxime von ihm. Seit er aber nur noch stumm auf der Tribüne steht, „kämpft jeder gegen jeden“, meint Kaminski – und lächelt süffisant. MARKUS VÖLKER