Aufschlag in Fantasialand

Auf dem asiatischen Markt bietet der vielerorts kränkelnde Tennissport noch große Perspektiven, der Masters Cup der acht besten Profis diese Woche in China soll die Entwicklung vorantreiben

aus Schanghai DORIS HENKEL

In ihrer Wochenendausgabe erschien die englischsprachige Tageszeitung Shanghai Daily mit einer viel sagenden Kombination. Oben auf der Titelseite, über sieben Spalten mit einer Überschrift in Rot, der Bericht über die Eröffnungsrede des Vorsitzenden Jiang Zemin beim 16. Kongress des Zentralkomitees der Kommunistischen Partei Chinas in Peking. Direkt darunter ein Dreispalter über die Ankunft der besten Tennisspieler der Welt zum Masters Cup in Shanghai – kleiner und bescheidener aufgemacht zwar, aber immerhin. Sieht so aus, als stünde die Mauer zwischen den Systemen längst nicht mehr so fest.

Als die Verantwortlichen des Internationalen Tennis Verbandes (ITF), der ATP-Tour und des Grand-Slam-Komitees vor drei Jahren beschlossen, die ATP-Weltmeisterschaft und den Münchner Grand Slam Cup künftig unter dem Titel Masters Cup zu vereinen, entschieden sie sich auch für wechselnde Schauplätze. Nach Lissabon 2000 und Sydney ist Schanghai die dritte Station des höchstdotierten Tennisturniers der Welt (3,7 Millionen US-Dollar), und das macht aus mancherlei Sicht Sinn. Zum einen wird das Turnier, das morgen beginnt, dem Tennis in Asien einen Impuls geben. Viele der Märkte in Europa und in den USA sind ausgereizt, in China und in vielen Nachbarländern dagegen, wo man sich lange nicht für Tennis interessiert hat, geht es gerade erst los.

Zum anderen spricht alles dafür, dass Schanghai die attraktive Linie von Lissabon und Sydney fortsetzen wird. Was für eine Stadt! Gäbe es die riesengroßen chinesischen Schriftzeichen auf den Werbetafeln und Legionen von Radfahrern in den Straßen nicht, dann könnte man meinen, in Fantasialand gelandet zu sein. Futuristische Bauten mit Kugelköpfen und Pagodendächern Seite an Seite, Paläste aus Glas und Stahl, Türme auf dem Weg zu neuen Höhenrekorden, Konstruktionen zwischen Kühnheit und Größenwahn, für die alles weichen musste, egal ob Mensch oder Material. Offensichtlich ist Schanghai dabei, ohne Rücksicht auf Verluste gleich ein paar Dekaden zu überspringen, und offensichtlich fließen am Ufer des Huangpu Ströme von Geld.

In überdimensionalen Spiralen windet sich die Auffahrt zur Nanpu-Brücke empor; sie führt ins neue Viertel hinüber nach Pudong zu Asiens höchstem Fernsehturm, zum nagelneuen Flughafen und zum Messegelände für die Expo 2010. Das Hauptgebäude für die Weltausstellung ist gerade fertig geworden, darin die Halle 5, Schauplatz des Masters Cups. Sie fasst 10.000 Zuschauer, hat Sitze und Tribünen in Taubenblau, reizvoll kontrastierend mit grellroten Teppichböden.

Dass es dort einen ähnlichen Geistertanz geben wird wie vergangene Woche beim Masters-Turnier der Frauen in Los Angeles, wo sich bisweilen in einer 18.000 Menschen fassenden Arena nur ein paar hundert Unerschütterliche verloren, ist eher nicht zu befürchten; hier sind die Leute noch neugierig auf Tennis und seine Attraktionen. Schwer zu sagen, welchen Bekanntheitsgrad jeder einzelne der acht qualifizierten Spieler hat. Beim Weg in die Halle kommen die Zuschauer an überlebensgroßen Plakaten von Lleyton Hewitt, Andre Agassi, Marat Safin, Juan Carlos Ferrero, Carlos Moya, Jiri Novak, Roger Federer und Albert Costa vorbei, und spätestens dann kann sich jeder ein Bild der Matadoren machen.

Das Ganze wäre vielleicht einfacher, spielte Michael Chang noch eine Rolle; der Amerikaner mit taiwanesischen Wurzeln ist nach wie vor der bekannteste und beliebteste Tennisspieler in Asien. Doch Chang steht kurz vor dem Ende seiner Karriere und ist nicht mehr gut genug für das exklusive Turnier. Und für dessen möglichen Nachfolger, Paradorn Srichaphan aus Thailand, der in diesem Jahr mächtig Furore gemacht hat, ist es noch zu früh. Aber das ist nicht schlimm, denn für Schanghai kommt er wie gerufen, der renommierte, geldvolle Masters Cup.