Die Wandlung vom Provinzfürsten zum Außenpolitiker

Hessens Ministerpräsident Roland Koch treibt die Sorge um, dass die Angst der Deutschen vor einem Irakkrieg die Wahl im Februar zugunsten von Rot-Grün entscheiden könnte

HANNOVER taz ■ Fernab von Hannover, in einer Villa am Rande von Berlin, war jüngst ein seltenes Beispiel von Bescheidenheit zu bewundern. Dankbar sei er, versicherte Roland Koch da mit unschuldigem Augenaufschlag, „als Politiker aus der Provinz in Berlin zu den Fragen der Außenpolitik sprechen zu dürfen“. In der Tat, ein wenig aus dem Rahmen fiel es schon, dass ausgerechnet der Ministerpräsident aus dem verschlafenen Wiesbaden vor dem renommierten Aspen-Institut einen Vortrag zur weltpolitischen Lage hielt. Hat der Mann nichts Wichtigeres zu tun? Schließlich muss er im Frühjahr eine Landtagswahl bestehen, die zur „Volksabstimmung über Rot-Grün“ werden solle, wie Koch gestern den Delegierten des CDU-Parteitags zurief.

Das plötzliche Interesse des Landespolitikers an den Weltläuften verdankt sich einem Blick in zwei Kalender: den eigenen und den von US-Präsident George W. Bush. Werden die Zeitpläne des Weißen Hauses Realität, steht die Welt Anfang Februar 2003 kurz vor dem Ausbruch von Kriegshandlungen im Irak. In Hessen wiederum ist der 2. Februar jener Sonntag, an dem Roland Koch wiedergewählt werden möchte. Da am selben Tag auch die Niedersachsen wählen, ist das Datum zugleich die wichtigste Bewährungsprobe der CDU unter ihrer Vorsitzenden Angela Merkel.

Die größte Sorge bereitet dem hessischen Ministerpräsidenten dabei weder sein sozialdemokratischer Herausforderer Gerhard Bökel noch das Abschneiden des Koalitionspartners FDP. Bökel nimmt man im Koch-Lager nicht wirklich ernst, für die FDP plant die CDU eine Zweitstimmenkampagne, die sie trotz Möllemann-Krise über das 5,1-Prozent-Ergebnis der letzten Landtagswahl hieven soll. Gegen eine Gefahr ist allerdings so schnell kein Kraut gewachsen – Koch nennt sie in aller Vorsicht „die Einstellung der Bevölkerung“: Wird sich bei der Hessenwahl wiederholen, was schon Edmund Stoiber bei der Bundestagswahl die Kanzlerschaft kostete? Wird erneut die Angst der Deutschen vor dem drohenden Irakkrieg eine Wahl zugunsten von Rot-Grün entscheiden?

„Das wird uns nicht noch mal passieren“, kündigt grimmig ein Koch-Vertrauter an. Der Ministerpräsident hatte darum schon drei Wochen nach der verlorenen Bundestagswahl seine Partei gewarnt: Die Antikriegshaltung der Deutschen sei „keine einmalige Konstellation, sondern eine Konstante“. Seitdem verwandelt sich Koch zielstrebig vom Provinzfürsten zum Außenpolitiker. „Wir haben in der letzten Legislaturperiode die Debatte über die Grundprinzipien der Union in der Außenpolitik nicht hinreichend präzise geführt“, warf er der eigenen Truppe vor. Irak „hat uns kalt erwischt“, heißt es drastischer in seinem Umfeld. Oberstes Ziel für die Hessenwahl sei es daher, eine Wiederholung des Effekts zu verhindern, der die Stoiber-Union traf.

Einen Ausweg hat allerdings auch Koch bisher nicht gefunden. Sein Rezept gegen den befürchteten Überraschungseffekt wirkt eher hilflos: „Ganz viel drüber reden.“ Indem der Wahlkämpfer die Irakpolitik offensiv zum Gegenstand seiner Tingeltouren durch das Land macht, hofft er, das Angstthema neutralisieren zu können. „Am besten“ könnten „unsere Interessen und unsere Freiheit an der Seite Amerikas“ verteidigt werden, predigt er. Trotzdem weiß Koch um die Gefahr, dass die Antikriegshaltung der Deutschen „zu einer strategischen Falle für die Union werden“ könnte. Stelle Rot-Grün sich doch noch an die Seite der USA, bleibe der Union nichts als die Zustimmung, was letztlich nur die Akzeptanz der Bundesregierung stärke. Blieben Kanzler und Außenminister dagegen beim Nein zum Irakkrieg in allen Formen, könne die Union „diese falsche Politik nicht anprangern, ohne ihren Wahlinteressen zu schaden“.

Eine letzte Hoffnung haben die Koch-Kämpfer noch: Wenn der Obergrüne Joschka Fischer weiter bei George W. Bush um Vergebung bettelt, bleiben vielleicht in Hessen die Grünen-Wähler zu Hause. PATRIK SCHWARZ