Die Oscar Wildes mit der Gitarre

Vier Jungs aus East-London schicken sich an, eine Weltberühmtheit zu werden: The Libertines heute im Magnet

Es war ein Sonntag im August. Über der Themse glitzerte die Sonne, unsere Augen waren klein und geschützt durch dunkle Brillen. Die Nacht war eine gute gewesen, ein bisschen Alkohol noch immer im Kopf. Patrick blätterte durch die neue Face, die in einem Special 40 neue hoffnungsvolle Bands vorstellte. Mit seinem Zeigefinger deutete er auf die Bilder: „Forget them.“ Auf vier verplant in die Kamera schauenden Jungs blieb sein Finger liegen. „Die werden ganz groß“, sagte er. „Libertines are fucking cool.“ Die Face schrieb damals: „Sie klingen wie Oscar Wilde, hätte er Gitarre gespielt.“

Jetzt ist es November, seit zwei Wochen ist das Debütalbum („Up the Bracket“) der Punk-Rock-Band The Libertines erschienen, und die vier Jungs aus Bethnal Green in East-London schicken sich an, eine Weltberühmtheit zu werden. Kate Moss besucht ihre Konzerte, Mick Jones von The Clash produzierte ihr Album, und Rough-Trade-Chef Georff Travis, der letztes Jahr die Strokes entdeckte, band die Gruppe an sein Label. Davon lassen sich die 22-jährigen Sänger und Gitaristen Peter Doherty und Carl Barat, der 24-jährige Drummer Gary Powell und der 20-jährige Bassist John Hassall aber nicht sonderlich beeindrucken. Vielleicht weil sie schon ein Leben leben, das ernster ist als das eines Rockstars und das Songwriter Peter Doherty Sätze wie diesen sagen lässt: „Ich kann mir unser Album selbst nicht anhören, ohne auszurasten oder ungesellig zu werden. Ich weiß nicht, ob unsere Musik gesund ist.“

Vielleicht sind die Libertines, die Freigeister und Wüstlinge, ja auch ein bisschen krank. Peters Exfreundin würde das wohl sofort unterschreiben. Sie fand Sätze aus einem Brief an ihren Freund als Teil eines Songs mit dem schönen Titel „Horror-Show“ wieder. „I’ve been following your mind’s instruction … I’m gonna screw myself to death“, heißt es da zum Beispiel. Die junge Dame rief bei der Plattenfirma an, schrie ordentlich ins Telefon und kündigte eine Klage an. Was wiederum Peter, der vor den Libertines als Totengräber und Escord-Boy arbeitet, auf die Idee brachte, ein Bild von ihr als Cover für das Album zu verwenden. „Aber auf allen Bildern, die ich von ihr hatte, sah sie aus wie ein Verbrechensopfer“, so Peter. Das ist nun wirklich nicht nett. Vor allem weil es in dem Song eigentlich um Heroin geht. Aber warum nett sein, in einer Welt, die nicht nett ist? Außerdem sind die Jungs gerade sowieso viel zu beschäftigt, die richtigen Drogen zu nehmen und sich bei Schlägereien nicht allzu ernsthaft zu verletzen.

Verzweiflung und Hoffnung, Lust und Hass auf das Leben geben sich bei den Libertines die Klinke. Vor allem am Nachmittag, wenn der Rausch am fernsten ist, kann Peter Doherty sehr klug sein. Dann sagt er: „Wir sind besessen von der englischen Kultur. Je mehr man liest und sich selbst beibringt, um so weniger benötigt man Dinge wie Acid, um an schöne Orte zu fliegen.“ Wenn dann englische Radiostationen ihre erste Single „What A Waster“ nur am Abend und nachts spielen wollen, weil darin „Fuck“ vorkommt, ist das beste PR. Als ihre musikalischen Vorbilder nennt die Gruppe The Clash, die Sex Pistols und Blur. Noch spannender wird es allerdings, ob sich The Libertines auf eine Auseinandersetzung Libertines gegen Strokes, London gegen New York weiter einlassen werden. Spielten The Libertines Anfang des Jahres noch als Vorgruppe bei den Strokes, wartet die englische Musikpresse jetzt nur so darauf, dass sie ihnen heute ein deutliches „Weicheier“ an den Kopf werfen. HENNING KOBER

Heute, 21 Uhr, Magnet, Greifswalder Str. 212–213, Prenzlauer Berg